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Urteile

Vorgeschriebene Religionszugehörigkeit für kirchliche Stelle nur mit gerichtlicher Kontrolle

  • Das Erfordernis, dass Bewerber um eine bei der Kirche zu besetzende Stelle einer bestimmten Religion angehören, muss Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein können. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied mit Urteil vom 17.04.2018 (C-414/16) im Fall einer Bewerberin aus Deutschland.
  • Dieses Erfordernis muss notwendig und angesichts des Ethos der Kirche aufgrund der Art der in Rede stehenden beruflichen Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung objektiv geboten sein und mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang stehen
  • Die Bewerberin im Ausgangsverfahren aus Deutschland, bewarb sich 2012 auf eine vom Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung ausgeschriebene Stelle. Es handelte sich um eine befristete Referentenstelle für ein Projekt, das die Erstellung des Parallelberichts zum Internationalen Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von rassistischer Diskriminierung zum Gegenstand hatte. Das Aufgabengebiet umfasste sowohl die Vertretung der Diakonie Deutschland gegenüber der Politik und der Öffentlichkeit als auch die Koordinierung des internen Meinungsbildungsprozesses. Nach der Stellenausschreibung mussten die Bewerber Mitglied einer evangelischen oder der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland angehörenden Kirche sein.
  • Die Klägerin wurde nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Da sie eine Benachteiligung aus Gründen der Religion erlitten zu haben glaubte, verklagte sie das Evangelische Werk vor den deutschen Gerichten auf Zahlung einer Entschädigung.
  • Das BAG, bei dem der Rechtsstreit mittlerweile anhängig ist, hat den EuGH in diesem Zusammenhang um die Auslegung der Antidiskriminierungsrichtlinie ersucht. Diese zielt auf den Schutz des Grundrechts der Arbeitnehmer ab, nicht u. a. wegen ihrer Religion oder Weltanschauung diskriminiert zu werden, soll aber auch dem im Unionsrecht – insbesondere in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – anerkannten Recht der Kirchen (und der anderen öffentlichen oder privaten Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht) auf Autonomie Rechnung tragen. In diesem Sinne bestimmt die Richtlinie, dass eine Kirche (oder eine andere Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht) eine mit der Religion oder Weltanschauung zusammenhängende Anforderung aufstellen kann, wenn die Religion oder Weltanschauung nach der Art der fraglichen Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung „eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt“. Hierzu führt das BAG aus, in Deutschland müsse sich die gerichtliche Kontrolle der Einhaltung dieser Kriterien nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum kirchlichen Privileg der Selbstbestimmung auf eine Plausibilitätskontrolle auf der Grundlage des glaubensdefinierten Selbstverständnisses beschränken. Das BAG möchte vom EuGH daher insbesondere wissen, ob eine solche beschränkte gerichtliche Kontrolle mit der Richtlinie vereinbar ist.
  • In seinem Urteil stellt der EuGH zunächst fest, dass nach der Richtlinie eine Abwägung zwischen dem Recht auf Autonomie der Kirchen (und der anderen Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht) und dem Recht der Arbeitnehmer, insbesondere bei der Einstellung nicht wegen ihrer Religion oder Weltanschauung diskriminiert zu werden, vorzunehmen ist, um einen angemessenen Ausgleich herzustellen.
  • Nach Auffassung des EuGH muss eine solche Abwägung im Fall eines Rechtsstreits von einer unabhängigen Stelle und letztlich von einem innerstaatlichen Gericht überprüft werden können. Wenn eine Kirche (oder eine andere Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht) zur Begründung einer Handlung oder Entscheidung wie der Ablehnung einer Bewerbung auf eine bei ihr zu besetzende Stelle geltend macht, die Religion sei nach der Art der betreffenden Tätigkeiten oder den vorgesehenen Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos dieser Kirche (bzw. Organisation), muss ein solches Vorbringen also Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein können. Das angerufene Gericht muss sich vergewissern, dass die in der Richtlinie für die Abwägung der gegebenenfalls widerstreitenden Rechte genannten Kriterien im konkreten Fall erfüllt sind.
  • Der EuGH stellt insoweit klar, dass es den staatlichen Gerichten im Regelfall nicht zusteht, über das der angeführten beruflichen Anforderung zugrunde liegende Ethos als solches zu befinden. Gleichwohl haben sie festzustellen, ob die drei Kriterien „wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt“ in Anbetracht dieses Ethos im Einzelfall erfüllt sind. Demnach haben die staatlichen Gerichte zu prüfen, ob die Anforderung notwendig und angesichts des Ethos der betreffenden Kirche (bzw. Organisation) aufgrund der Art der in Rede stehenden beruflichen Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung objektiv geboten ist. Zudem muss die Anforderung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang stehen, d.h., sie muss angemessen sein und darf nicht über das zur Erreichung des angestrebten Ziels Erforderliche hinausgehen.
  • Hinsichtlich der Problematik, die damit zusammenhängt, dass eine Unionsrichtlinie grundsätzlich keine unmittelbare Wirkung zwischen Privatpersonen entfaltet, sondern der Umsetzung in nationales Recht bedarf, weist der EuGH schließlich darauf hin, dass es den nationalen Gerichten obliegt, das nationale Recht, mit dem die Richtlinie umgesetzt wird, so weit wie möglich im Einklang mit ihr auszulegen. Für den Fall, dass es sich als unmöglich erweisen sollte, das einschlägige nationale Recht (AGG) im Einklang mit der Antidiskriminierungsrichtlinie – nach ihrer Auslegung im Urteil des EuGH – auszulegen, stellt der EuGH klar, dass ein mit einem Rechtsstreit zwischen zwei Privatpersonen befasstes nationales Gericht das nationale Recht unangewendet lassen muss.
  • Da die Charta Anwendung findet, muss das nationale Gericht nämlich den Rechtsschutz gewährleisten, der dem Einzelnen aus dem Verbot jeder Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung (verankert in Art. 21 der Charta, wobei dieses Verbot als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts zwingenden Charakter hat) und dem Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz (niedergelegt in Art.47 der Charta) erwächst. Sowohl das Diskriminierungsverbot als auch das Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz verleihen aus sich heraus dem Einzelnen ein Recht, das er in einem Zivilrechtsstreit, der einen vom Unionsrecht erfassten Bereich betrifft, als solches geltend machen kann.

Quelle: EuGH-Pressemitteilung 46/18 vom 17.04.2018

 

 


Pensions-Sicherungs-Verein haftet für Übergangszuschuss an Arbeitnehmer

  • Erhält ein ehemaliger Arbeitnehmer während der ersten sechs Monate des Rentenbezugs sein monatliches Entgelt unter Anrechnung der Betriebsrente als „Übergangszuschuss“ weiter, handelt es sich um eine Leistung der betrieblichen Altersversorgung, die der Insolvenzsicherung durch den Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) unterliegt. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied mit Urteil vom 20.03.2018 (3 AZR 277/16)
  • Bei der früheren, inzwischen insolventen Arbeitgeberin des Klägers galt eine Betriebsvereinbarung über die Gewährung eines Übergangszuschusses. Dieser sollte während der ersten sechs Monate des Rentenbezugs gezahlt werden, wenn der Versorgungsberechtigte im unmittelbaren Anschluss an die aktive Dienstzeit bei der Arbeitgeberin pensioniert wird. Seit Januar 2015 bezieht der Kläger neben der gesetzlichen Rente eine Betriebsrente vom PSV. Dieser ist der Auffassung, er müsse nicht für den Übergangszuschuss eintreten, weil es sich nicht um eine Leistung der betrieblichen Altersversorgung handele. Es fehle am erforderlichen Versorgungszweck.
  • Das BAG hat - ebenso wie das LAG - der Klage überwiegend stattgegeben. Der Übergangszuschuss knüpft an ein vom Betriebsrentengesetz erfasstes Risiko an. Er dient nicht der Überbrückung von Zeiträumen bis zum Eintritt des Versorgungsfalls. Vielmehr bezweckt er, den Lebensstandard des Arbeitnehmers mit Eintritt in den Ruhestand zu verbessern. Damit hat der Übergangszuschuss - auch wenn er lediglich vorübergehend gewährt wird - Versorgungscharakter.

Quelle: BAG-Pressemitteilung 13/18 vom 20.03.2018

 

 


Abfindungsvereinbarung ist keine unzulässige Begünstigung eines Betriebsratsmitglieds

  • Beabsichtigt der Arbeitgeber, das Arbeitsverhältnis mit einem Betriebsratsmitglied unter Berufung auf verhaltensbedingte Gründe außerordentlich zu kündigen und schließen Arbeitgeber und Betriebsratsmitglied nach Einleitung eines Verfahrens zur Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zu der Kündigung und nach vorausgegangenen Verhandlungen eine Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung und ggf. andere Zuwendungen, so liegt darin regelmäßig keine nach § 78 Satz 2 BetrVG unzulässige Begünstigung des Betriebsratsmitglieds entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Urteil vom 21.03.2018 (7 AZR 590/16).
  • Der Kläger war seit 1983 bei der Beklagten beschäftigt und seit 2006 Vorsitzender des in ihrem Betrieb gebildeten Betriebsrats. Anfang Juli 2013 hatte die Beklagte beim Arbeitsgericht unter Berufung auf - vom Kläger bestrittene - verhaltensbedingte Gründe ein Verfahren zur Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers eingeleitet. Am 22.07.2013 schlossen die Parteien außergerichtlich einen Aufhebungsvertrag, in dem u. a. die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2015, die Freistellung unter Vergütungsfortzahlung und eine noch im Verlauf des Arbeitsverhältnisses auszuzahlende Abfindung von 120.000 Euro netto vereinbart wurde. Nachdem der Kläger am 23.07.2013 vereinbarungsgemäß von seinem Betriebsratsamt zurückgetreten und in der Folgezeit die Auszahlung der Abfindung an ihn erfolgt war, hat er mit der vorliegenden Klage den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses über den 31.12.2015 hinaus geltend gemacht. Er meint, der Aufhebungsvertrag sei nichtig, weil er durch diesen als Betriebsratsmitglied in unzulässiger Weise begünstigt werde.
  • Die Klage blieb beim BAG - wie bereits in den Vorinstanzen - ohne Erfolg. Nach § 78 Satz 2 BetrVG dürfen Mitglieder des Betriebsrats wegen ihrer Betriebsratstätigkeit weder benachteiligt noch begünstigt werden. Vereinbarungen, die hiergegen verstoßen, sind nach § 134 BGB nichtig. Durch den Abschluss eines Aufhebungsvertrags wird das Betriebsratsmitglied allerdings regelmäßig nicht unzulässig begünstigt. Soweit die Verhandlungsposition des Betriebsratsmitglieds günstiger ist als die eines Arbeitnehmers ohne Betriebsratsamt, beruht dies auf dem in § 15 KSchG und § 103 BetrVG geregelten Sonderkündigungsschutz.

Quelle: BAG-Pressemitteilung 15/18 vom 21.03.2018

 

Wirksamkeit von Allgemeinverbindlichkeitserklärungen von Tarifverträgen im Baugewerbe

  • Die Allgemeinverbindlicherklärungen vom 06.07.2015 des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV), des Bundesrahmentarifvertrags für das Baugewerbe (BRTV), des Tarifvertrags über die Berufsbildung im Baugewerbe (BBTV) und des Tarifvertrags über eine zusätzliche Altersversorgung im Baugewerbe (TZA Bau) sind rechtswirksam. Die nach § 5 TVG geforderten Voraussetzungen waren nach Beschluss des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 21.03.2018 (10 AZR 62/16) erfüllt. Insbesondere bestand ein öffentliches Interesse an den Allgemeinverbindlicherklärungen.
  • Auf Antrag der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes hat das BMAS am 06.07.2015 nach § 5 TVG den Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 03.05.2013 in der Fassung vom 10.12.2014, den Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV) vom 04.07.2002 in der Fassung vom 10.12.2014, den Tarifvertrag über die Berufsbildung im Baugewerbe (BBTV) vom 10.12.2014 und den Tarifvertrag über eine zusätzliche Altersversorgung im Baugewerbe (TZA Bau) vom 05.06.2014 in der Fassung vom 10.12.2014 mit bereits im Antrag enthaltenen Einschränkungen bezüglich des betrieblichen Geltungsbereichs („Große Einschränkungsklausel“) für allgemeinverbindlich erklärt.
  • Die für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge regeln das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV), die Berufsbildung im Baugewerbe (BBTV), die zusätzliche Altersrente im Baugewerbe (TZA Bau) und die Rahmenbedingungen der Beschäftigung im Baugewerbe (BRTV). Bei den Sozialkassen des Baugewerbes (SOKA-BAU) handelt es sich um gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes (Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt - IG BAU -, Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e. V. - HDB - und Zentralverband des Deutschen Baugewerbes e. V. - ZDB -). Die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse erbringt Leistungen im Urlaubs- und Berufsbildungsverfahren, die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes zusätzliche Altersversorgungsleistungen. Zur Finanzierung dieser Leistungen werden nach Maßgabe des VTV Beiträge von den Arbeitgebern erhoben. Durch die AVE gelten die Tarifverträge nicht nur für die tarifgebundenen Mitglieder der Tarifvertragsparteien, sondern auch für alle anderen Arbeitgeber der Branche. Sie sind verpflichtet, die tariflichen Arbeitsbedingungen einzuhalten und Beiträge an die Sozialkassen zu leisten. Sowohl die Arbeitgeber als auch die Arbeitnehmer erhalten Leistungen von den Sozialkassen.
  • Bei den Antragstellern handelt es sich um Arbeitgeber, die nicht Mitglied einer tarifvertragsschließenden Arbeitgebervereinigung sind und deshalb nur auf Grundlage der Allgemeinverbindlicherklärungen zu Beitragszahlungen herangezogen wurden. Sie haben die Auffassung vertreten, § 5 TVG in der seit dem 16.08.2014 geltenden Fassung sei verfassungswidrig. Die Tarifverträge seien mangels Tariffähigkeit und/oder Tarifzuständigkeit der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes unwirksam. Im Übrigen hätten die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass der Allgemeinverbindlicherklärungen nicht vorgelegen; insbesondere habe kein öffentliches Interesse an den Allgemeinverbindlicherklärungen bestanden. Das Landesarbeitsgericht hat die Anträge zurückgewiesen und festgestellt, dass die angegriffenen Allgemeinverbindlicherklärungen wirksam sind.
  • Die vom LAG zugelassenen Rechtsbeschwerden hatten vor dem BAG keinen Erfolg. Die angegriffenen Allgemeinverbindlicherklärungen vom 06.07.2015 des VTV, des BRTV, des BBTV (soweit über diese eine Entscheidung erging) und des TZA Bau sind wirksam. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 5 TVG neuer Fassung gibt es nicht. Dies gilt auch hinsichtlich der Bestimmung über die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen über gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien (§ 5 Abs. 1a TVG). Vernünftige Zweifel an der Tariffähigkeit oder der Tarifzuständigkeit der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes bestanden nicht. Das BMAS durfte annehmen, dass der Erlass der angegriffenen Allgemeinverbindlicherklärungen im öffentlichen Interesse geboten erschien.

Quelle: BAG-Pressemitteilung 16/18 vom 21.03.2018

 

 

Kein Beschäftigungstitel bei Wegfall des konkreten Arbeitsplatzes

  • Ein Arbeitgeber kann im Rahmen einer Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO nicht erfolgreich einwenden, ihm sei die Erfüllung eines rechtskräftig zuerkannten Beschäftigungsanspruchs auf einem konkreten Arbeitsplatz wegen dessen Wegfalls unmöglich, wenn er den arbeitsvertraglichen Beschäftigungsanspruch durch Zuweisung einer anderen vertragsgemäßen Tätigkeit erfüllen könnte. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) stellt dies mit Urteil vom 21.03.2018 (10 AZR 560/16) klar.
  • Die Parteien streiten über die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus dem rechtskräftigen Urteil eines Arbeitsgerichts aus dem Jahr 2010. Danach hat die Klägerin den Beklagten „zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Direktor Delivery Communication & Media Solutions Deutschland und General Western Europe auf der Managerebene 3 zu beschäftigen“. Die Klägerin wendet ein, ihr sei die titulierte Beschäftigung des Beklagten unmöglich, weil der Arbeitsplatz aufgrund konzernübergreifender Veränderungen der Organisationsstruktur weggefallen sei. Eine andere Tätigkeit hat sie dem Beklagten nicht zugewiesen. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben.
  • Die Revision des Beklagten hatte vor dem BAG Erfolg. Selbst wenn die Beschäftigung des Beklagten infolge des Wegfalls des Arbeitsplatzes im Sinne von § 275 Abs. 1 BGB unmöglich ist, kann die Klägerin mit dieser Einwendung im Verfahren nach § 767 ZPO jedenfalls wegen des aus § 242 BGB abzuleitenden, von Amts wegen zu berücksichtigenden sog. Dolo-agit-Einwands nicht durchdringen. Durch die Nichtbeschäftigung des Beklagten verstößt die Klägerin gegen die Beschäftigungspflicht (§ 611 Abs. 1 BGB). Fehlendes Verschulden hat sie nicht dargelegt (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB). Sie muss dem Beklagten deshalb nach § 280 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 249 Abs. 1 BGB eine andere vertragsgemäße Beschäftigung zuweisen. Dass ihr dies nicht möglich oder zuzumuten sei, hat die Klägerin nicht behauptet.

Quelle: BAG-Pressemitteilung 17/18 vom 21.03.2018

 

Dynamische Bezugnahmeklausel darf nicht durch Änderung der Betriebsvereinbarung
 erfolgen

  • Eine individualvertraglich vereinbarte Vergütung nach tariflichen Grundsätzen kann durch eine Betriebsvereinbarung nicht zu Lasten des Arbeitnehmers abgeändert werden entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Urteil vom 11.04.2018 (4 AZR 119/17).
  • Der Kläger ist seit 1991 bei der Beklagten und ihrer Rechtsvorgängerin als Masseur in einem Senioren- und Pflegezentrum beschäftigt. In einer Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag von Dezember 1992 verständigte sich die Rechtsvorgängerin der Beklagten mit dem Kläger auf eine Reduzierung der Arbeitszeit. In der Vereinbarung heißt es, die Vergütung betrage „monatlich in der Gruppe BAT Vc/3 = DM 2.527,80 brutto". Im Februar 1993 schlossen die Rechtsvorgängerin der Beklagten und der bei ihr gebildete Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung. Danach sollten in ihrem Anwendungsbereich „analog die für die Angestellten des Bundes und der Länder vereinbarten Bestimmungen des Lohn- und Vergütungstarifvertrages - BAT vom 11.01.1961" gelten. Ihre Bestimmungen sollten automatisch Bestandteil von Arbeitsverträgen werden, die vor Februar 1993 geschlossen worden waren. Die betroffenen Arbeitnehmer sollten einen entsprechenden Nachtrag zum Arbeitsvertrag erhalten. Einen solchen Nachtrag unterzeichneten die Rechtsvorgängerin der Beklagten und der Kläger im März 1993. Die Beklagte kündigte die Betriebsvereinbarung zum 31.12.2001. Im März 2006 vereinbarten die Parteien im Zusammenhang mit einer Arbeitszeiterhöhung, dass das Gehalt „entsprechend der 0,78 Stelle auf 1.933,90 Euro erhöht“ werde und „alle übrigen Bestandteile des bestehenden Arbeitsvertrages … unverändert gültig“ blieben. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme Vergütung nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst in der für die kommunalen Arbeitgeber geltenden Fassung (TVöD/VKA) bzw. dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) zu. Die Beklagte meint, eine dynamische Bezugnahme auf die vom Kläger herangezogenen Tarifwerke liege nicht vor.
  • Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers vor dem BAG war erfolgreich. Die Beklagte ist verpflichtet, den Kläger nach der jeweiligen Entgelttabelle des TVöD/VKA zu vergüten. Der Kläger und die Rechtsvorgängerin der Beklagten haben die Vergütung nach den jeweils geltenden Regelungen des BAT und nachfolgend des TVöD/VKA arbeitsvertraglich vereinbart. Die Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 1993 vermochte diese Vereinbarung nicht abzuändern. Ungeachtet der Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung unterlag die arbeitsvertragliche Vergütungsabrede bereits deshalb nicht der Abänderung durch eine kollektivrechtliche Regelung, weil es sich bei der Vereinbarung der Vergütung nicht um eine allgemeine Geschäftsbedingung, sondern um eine individuell vereinbarte, nicht der AGB-Kontrolle unterworfene Regelung der Hauptleistungspflicht handelte. Die vom LAG aufgeworfene Frage der - generellen - Betriebsvereinbarungsoffenheit von Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Arbeitsverträgen bedurfte deshalb keiner Entscheidung.

Quelle: BAG-Pressemitteilung 18/18 vom 12.04.2018

 

Arbeitnehmer hat wegen Geldanspruch keinen Anspruch auf Kündigung einer
 Direktversicherung

  • Der bloße Geldbedarf eines Arbeitnehmers, für den der Arbeitgeber eine Direktversicherung zur Durchführung der betrieblichen Altersversorgung im Wege der Entgeltumwandlung abgeschlossen hat, begründet für sich genommen keinen Anspruch gegen den Arbeitgeber, den Versicherungsvertrag gegenüber der Versicherungsgesellschaft zu kündigen, damit der Arbeitnehmer den Rückkaufswert erhält. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied mit Urteil vom 26.04.2018 (3 AZR 586/16).
  • Der Kläger schloss mit der beklagten Arbeitgeberin im Jahr 2001 eine Entgeltumwandlungsvereinbarung. Danach war die Arbeitgeberin verpflichtet, jährlich ca. 1.000 Euro in eine zugunsten des Klägers bestehende Direktversicherung, deren Versicherungsnehmerin sie ist, einzuzahlen. Die Versicherung, die von der Arbeitgeberin durch weitere Beiträge gefördert wird, ruht seit 2009. Mit seiner Klage verlangte der Kläger von der Beklagten die Kündigung des Versicherungsvertrags, weil er sich in einer finanziellen Notlage befinde.
  • Das BAG hat - wie die Vorinstanzen - die Klage abgewiesen. Der Kläger hat kein schutzwürdiges Interesse an der begehrten Kündigung. Die im Betriebsrentengesetz geregelte Entgeltumwandlung dient dazu, den Lebensstandard des Arbeitnehmers im Alter zumindest teilweise abzusichern. Mit dieser Zwecksetzung wäre es nicht vereinbar, wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber verlangen könnte, die Direktversicherung lediglich deshalb zu kündigen, um dem versicherten Arbeitnehmer die Möglichkeit zu verschaffen, das für den Versorgungsfall bereits angesparte Kapital für den Ausgleich von Schulden zu verwenden.

Quelle: BAG-Pressemitteilung 21/18 vom 26.04.2018


Keine Kündigung wegen des Verdachts der Zugehörigkeit zur salafistischen Szene

  • Das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen hat mit Urteil vom 12.03.2018 (15 Sa 319/17) die Kündigung für unwirksam erklärt, welche ein Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer fristlos, hilfsweise fristgerecht erklärt hatte.
  • Der Arbeitnehmer ist von Geburt deutscher Staatsangehöriger. Er war seit dem 01.09.2008 bei der Beklagten als Montagewerker beschäftigt. Diese hat die Kündigung darauf gestützt, dass der Verdacht bestehe, der Kläger wolle sich dem militanten „Jihad" anschließen. Der Kläger war zur Kontrolle und Grenzfahndung ausgeschrieben. Eine am 28.12.2014 beabsichtigte Flugreise des Klägers nach Istanbul wurde von der Bundespolizei unterbunden. In der Folge wurde dem Kläger der Reisepass entzogen. Die hiergegen gerichtete Klage wurde vom Verwaltungsgericht Braunschweig mit Urteil vom 07.09.2016 zurückgewiesen (5 A 99/15).
  • Der Arbeitgeber kündigte in der Folge das Arbeitsverhältnis, weil durch das Verhalten des Klägers der Betriebsfrieden und die Sicherheit im Unternehmen gefährdet seien. Im Januar dieses Jahres hat der Kläger einen neuen Reisepass ausgestellt erhalten.
  • Das Arbeitsgericht hat die gegen die Wirksamkeit der Kündigungen gerichtete Klage abgewiesen. Die hiergegen vom Kläger eingelegte Berufung hatte vor dem LAG Niedersachsen Erfolg. Der bloße Verdacht einer Zugehörigkeit zur radikal militanten „Jihad-Bewegung" und der damit begründete präventive Entzug des Reisepasses sind als Grund für die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses nicht ohne weiteres ausreichend. Nur bei einer konkreten Störung des Arbeitsverhältnisses sind solche Umstände als Kündigungsgründe geeignet. Die Beklagte konnte eine solche konkrete Störung jedoch ebenso wenig aufzeigen wie einen dringenden Verdacht, dass der Kläger den Frieden oder die Sicherheit im Betrieb stören könnte. Rein außerdienstliche Umstände können die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses weder fristlos noch fristgemäß rechtfertigen.
  • Das LAG hat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfragen die Revision zum BAG zugelassen.

Quelle: LAG-Niedersachsen Pressemitteilung vom 12.03.2018

 

Außerdienstliche Straftat rechtfertigt keine fristlose Kündigung

  • Das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf entschied mit Urteil vom 12.04.2018 (11 Sa 319/17): Eine außerdienstliche Straftat rechtfertigt nicht die fristlose Kündigung eines Arbeitnehmers.
  • Der Kläger war seit 1991 bei der Beklagten, einem Chemieunternehmen, im Labor beschäftigt. Er arbeitete dort im Bereich der Qualitätsanalyse und war im Wesentlichen mit der Herstellung und Prüfung von Silikonprüfplatten befasst. Am 02.08.2016 wurden in seiner Wohnung von der Polizei 1,5 Kilogramm chemischer Stoffmischungen gefunden, die von dieser als gefährlich bewertet wurden. In der Wohnung befand sich zudem ein Kilogramm eines Betäubungsmittels. Am 13.08.2016 wurde der Kläger wegen des Versuchs eines Sprengstoffvergehens aus April 2016 verurteilt. Die Beklagte erfuhr durch Presseberichte von diesen Vorfällen. Nach Anhörung des Klägers kündigte sie das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 01.09.2016 fristlos. Nachfolgend kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis am 26.05.2017 zum 31.12.2017 ordentlich.
  • Gegenstand des Verfahrens vor dem LAG war nur die fristlose Kündigung, gegen die der Kläger sich mit seiner Kündigungsschutzklage wehrt. Diese hatte anders als vor dem Arbeitsgericht vor dem LAG Erfolg. Die Voraussetzungen einer personenbedingten Kündigung wegen außerdienstlichen Verhaltens waren nicht gegeben. Allerdings kann auch bei außerdienstlichem Verhalten eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Betracht kommen, wenn diese die Eignung bzw. Zuverlässigkeit des Arbeitnehmers entfallen lässt. Dabei sind folgende Aspekte zu berücksichtigen: die Art und Schwere des Delikts, die konkret nach dem Arbeitsvertrag geschuldete Tätigkeit sowie die Stellung im Betrieb.
  • In Anwendung dieser Grundsätze erwies sich die fristlose Kündigung als unwirksam. Zwar hatte der Kläger bei der Beklagten Zugang zu gefährlichen Chemikalien. Diese wurden bei seiner eigentlichen Arbeitsaufgabe in der Qualitätsanalyse aber nicht verwandt. Hinzu kam, dass das Arbeitsverhältnis seit 1991 bestanden hatte. Auch wenn sich das Unternehmen der Beklagten in einem Chemiepark befindet, der generell von der Beklagten als sicherheitsrelevant eingestuft wird, rechtfertigen die außerdienstlichen Vorwürfe gegenüber dem Kläger in Ansehung seiner konkreten Arbeitsaufgabe, der Stellung im Betrieb und der langen Betriebszugehörigkeit keine fristlose Kündigung. Über die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung hatte die erkennende Kammer nicht zu entscheiden. Im Hinblick auf diese hat sie dem weiteren Begehren des Klägers auf tatsächliche Weiterbeschäftigung nicht entsprochen.
  • Das LAG hat die Revision nicht zugelassen.

Quelle: LAG-Düsseldorf Pressemitteilung 18/18 vom 12.04.2018

 

 


Verdachtskündigung erfordert angemessene Zeitspanne für die Anhörung des
 Arbeitnehmers zu den Vorwürfen

  • Wer einem Arbeitnehmer gegenüber eine Kündigung aussprechen will, die nicht auf Tatsachen, sondern auf einem Verdacht beruht, kann dies bei u.a. hinreichend schwerem Verdacht rechtlich wirksam tun, muss aber den betroffenen Mitarbeiter vorher zu den Vorwürfen anhören. Dabei ist ihm angemessen Zeit für die Antwort einzuräumen. Setzt der Arbeitgeber dagegen eine zu kurze Frist und kündigt dem Arbeitnehmer nach deren Ablauf, ohne dass die Stellungnahme des Betroffenen vorliegt, so ist die Kündigung als Verdachtskündigung rechtsunwirksam. Dies hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein mit Urteil (3 Sa 398/17) vom 21.03.2018 entschieden.
  • Der als Entwicklungsingenieur beschäftigte Kläger stritt sich mit seiner Arbeitgeberin, der Beklagten, schon mehrfach bis vor das LAG über die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses. Im vom LAG entschiedenen Fall ging es neben einer Versetzung und einer Änderungskündigung um eine fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 12.08.2016, die u.a. mit dem Verdacht von Straftaten begründet wurde. Im Zuge der im Rechtsstreit ebenfalls streitigen Versetzung des Klägers aus der Entwicklungsabteilung in den Außendienst erhielt der Kläger von der Beklagten im Juni 2016 ein Laptop ausgehändigt. Er war seitdem durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Nachdem der Kläger größere Datenmengen über das Laptop heruntergeladen hatte, verlangte die Beklagte das Laptop heraus. Am 03.08.2016 übersandte der Kläger der Beklagten ein anderes Laptop. Ob dies versehentlich erfolgte, ist zwischen den Parteien streitig. Jedenfalls gab die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 04.08.2016, in dessen Briefkasten frühestens am Abend eingegangen, Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 08.08.2016, 13:00 Uhr. Als die Frist verstrichen war, brachte die Beklagte die außerordentliche Verdachtskündigung auf den Weg.
  • Das LAG hält - angesichts des Umstands, dass sich die Parteien bereits anderweitig in vertraglichen und auch gerichtlichen Auseinandersetzungen befanden, in welchen sich der Kläger stets anwaltlich vertreten ließ - die Stellungnahmefrist von nicht einmal zwei vollen Arbeitstagen bis Montagmittag für in jeder Hinsicht unangemessen kurz. Dies gilt umso mehr, als dass die Beklagte das Anhörungsschreiben nicht zugleich dem Prozessbevollmächtigten des Klägers - ggf. auch per Fax – zusandte. Außerdem wusste sie, dass der Kläger arbeitsunfähig krank war. Sie musste somit damit rechnen, dass sich dieser gerade nicht durchgängig zu Hause aufhält.
  • Das LAG hat die Revision nicht zugelassen.

Quelle: LAG-Schleswig-Holstein Pressemitteilung vom 13.04.2018

 


Keine Berichtigung bei Übernahme elektronisch übermittelter Lohndaten anstelle des vom
 Arbeitnehmer erklärten Arbeitslohns

  • Gleicht das Finanzamt (FA) bei einer in Papierform abgegebenen Einkommensteuererklärung den vom Arbeitgeber elektronisch übermittelten Arbeitslohn nicht mit den Angaben des Steuerpflichtigen zu seinem Arbeitslohn in der Erklärung ab und werden die Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit im Einkommensteuerbescheid infolgedessen zu niedrig erfasst, kann das FA den Fehler nicht im Nachhinein berichtigen. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 16.01.2018 (VI R 41/16) zur offenbaren Unrichtigkeit nach § 129 der AO entschieden.
  • Die Klägerin war im Streitjahr (2011) zunächst bei der X GmbH und später bei der Y GmbH beschäftigt. Ihren aus diesen beiden Arbeitsverhältnissen bezogenen Arbeitslohn erklärte sie gegenüber dem FA zutreffend. Die Erklärung wurde in Papierform eingereicht. Das FA berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid lediglich den Arbeitslohn aus dem Arbeitsverhältnis mit der Y GmbH. Nach Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids stellte das FA fest, dass die X GmbH erst im Nachhinein die richtigen Lohndaten für die Klägerin übermittelt hatte und diese deshalb im Bescheid nicht enthalten waren. Das FA erließ einen Änderungsbescheid, gegen den die Klägerin erfolglos Einspruch einlegte. Das FA sah sich als nach § 129 Satz 1 AO änderungsbefugt an. Nach dieser Vorschrift kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Demgegenüber gab das Finanzgericht der Klage statt.
  • Dies hat der BFH bestätigt. Nach seinem Urteil liegt keine offenbare Unrichtigkeit vor. Entscheidend war hierfür, dass die Klägerin ihren Arbeitslohn zutreffend erklärt, das FA diese Angaben aber ignoriert hatte, weil es darauf vertraute, dass die vom Arbeitgeber elektronisch übermittelten Daten zutreffend waren. Kommt es bei dieser Vorgehensweise zu einer fehlerhaften Erfassung des Arbeitslohns, liegt nach dem BFH kein mechanisches Versehen, sondern vielmehr ein Ermittlungsfehler des FA vor. Eine spätere Berichtigung nach § 129 AO ist dann nicht möglich.
  • Wird infolge einer fehlerhaften Meldung des Arbeitgebers zu viel Arbeitslohn erfasst, kann sich der Steuerpflichtige in vergleichbaren Fällen ebenfalls nicht im Nachhinein auf § 129 AO berufen, wenn er den Fehler erst nach Ablauf der Einspruchsfrist bemerkt.
  • Nicht zu berücksichtigen war im Streitfall die seit 01.01.2017 geltende Neuregelung in § 175b AO. Danach ist ein Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern, soweit von der mitteilungspflichtigen Stelle an die Finanzbehörden übermittelte Daten bei der Steuerfestsetzung nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt wurden.

Quelle: BFH-Pressemitteilung Nr. 14 vom 14.03.2018

 

Lohnzufluss bei vom Arbeitgeber eingeräumter Möglichkeit der vergünstigten Nutzung von
Fitnessstudios

  • Der mit der vergünstigten Nutzung von Fitness-Studios einhergehende geldwerte Vorteil fließt den teilnehmenden Arbeitnehmern monatlich zu, wenn die Arbeitnehmer keinen über die Dauer eines Monats hinausgehenden, unentziehbaren Anspruch zur Nutzung der Studios haben. Auf die Dauer der vom Arbeitgeber gegenüber dem Anbieter der Trainingsmöglichkeit eingegangenen Vertragsbindung kommt es dagegen für die Beurteilung des Zuflusses beim Arbeitnehmer nicht an, entschied das Finanzgericht (FG) Niedersachsen.
  • Strittig war, ob die von der Klägerin ihren Arbeitnehmern über einen Dritten eingeräumte Möglichkeit der Nutzung unterschiedlicher Fitness- und Sporteinrichtungen bei den teilnehmenden Beschäftigten nach § 8 Abs. 2 Satz 9 bzw. Satz 11 EStG zu einem Sachbezug von mehr als 44,00 Euro im Kalendermonat führt.
  • Die Richter entschieden, dass der den Teilnehmern des Firmenfitnessprogramms zufließende Vorteil nicht steuerpflichtiger Arbeitslohn ist, weil die monatliche Freigrenze des § 8 Abs. 2 Satz 9 bzw.11 EStG nach Anrechnung der von den Arbeitnehmern gezahlten Entgelte nicht überschritten wird.
  • Diese Voraussetzung ist in dem verhandelten Fall erfüllt, weil den teilnehmenden Beschäftigten nach Abzug der von ihnen zu zahlenden Eigenanteile im ersten Jahr ein monatlicher geldwerter Vorteil in Höhe von 43,00 Euro und in den darauffolgenden Jahren der Teilnahme ein monatlicher geldwerter Vorteil in Höhe von 37,50 Euro verbleibt.
  • Entgegen der Auffassung des Finanzamtes fließt den teilnehmenden Beschäftigten mit Aushändigung der Teilnahmebestätigung nicht der geldwerte Vorteil für den Zeitraum eines gesamten Jahres, sondern vielmehr während der Dauer ihrer Teilnahme fortlaufend und monatlich zu. Die Arbeitnehmer haben allein durch den Erhalt der Trainingsberechtigung keinen unmittelbaren Anspruch zur Nutzung der Einrichtungen für die Dauer eines Jahres erworben. Im Gegensatz zum vergünstigten Erwerb einer Jahreskarte verschafft die Aushändigung des Mitgliedsausweises, an dem die Teilnehmer zudem kein Eigentum erwerben, den Arbeitnehmern keinen unentziehbaren Anspruch, sondern lediglich das (durchaus entziehbare) Recht zur Nutzung der Einrichtungen für die Dauer der Teilnahme bzw. der aktivierten Karte. Weder der Abschluss des Vertrages des Arbeitgebers mit dem Fitnessstudio zur Nutzung der Verbundeinrichtungen noch die vertragliche Bindung der Arbeitnehmer bei der Klägerin begründen bei der Klägerin oder bei den teilnehmenden Beschäftigten ein eigentumsähnliches Recht.
  • Der vorliegende Fall unterscheidet sich insoweit von dem Sachverhalt der BFH-Entscheidung vom 14.11.2012 (VI R 56/11), wo mit dem Erwerb einer Fahrkarte ein für die Dauer eines Jahres unentziehbarer Anspruch der Arbeitnehmer auf Beförderung einherging und die Fahrkarte mit dem Kauf in das Eigentum der Erwerber übergegangen ist.
  • Die Revision zu diesem Urteil ist zugelassen.

Quelle: FG Niedersachsen-Urteil vom 13.03.2018 – 14 K 204/16

 

Geschäftsführer einer GmbH sind regelmäßig sozialversicherungspflichtig

  • Geschäftsführer einer GmbH sind regelmäßig als Beschäftigte der GmbH anzusehen und unterliegen daher der Sozialversicherungspflicht. Damit hat das Bundessozialgericht (BSG) seine bisherige Rechtsprechung am 14.03.2018 bekräftigt und entsprechende Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt (B 12 KR 13/17 R und B 12 R 5/16 R).
  • Ein Geschäftsführer, der zugleich Gesellschafter der GmbH ist, ist nur dann nicht abhängig beschäftigt, wenn er die Rechtsmacht besitzt, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft zu bestimmen. Das ist regelmäßig der Fall, wenn er mehr als 50 % der Anteile am Stammkapital hält (Mehrheitsgesellschafter). Ist der Geschäftsführer kein Mehrheitsgesellschafter, ist eine abhängige Beschäftigung ausschließende Rechtsmacht ausnahmsweise auch dann anzunehmen, wenn er exakt 50 % der Anteile hält oder bei einer noch geringeren Kapitalbeteiligung kraft ausdrücklicher Regelungen im Gesellschaftsvertrag (Satzung) über eine umfassende ("echte"/qualifizierte) Sperrminorität verfügt, sodass es ihm möglich ist, ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung zu verhindern.
  • Im ersten Fall vor dem BSG verfügte der klagende Geschäftsführer lediglich über einen Anteil von 45,6 % am Stammkapital. Eine mit seinem Bruder als weiterem Gesellschafter der GmbH getroffene "Stimmbindungsabrede" änderte an der Annahme von Sozialversicherungspflicht ebenso wenig etwas, wie dessen Angebot an den Kläger, künftig weitere Anteile zu erwerben. Im zweiten Fall verfügte der klagende Geschäftsführer lediglich über einen Anteil von 12 % am Stammkapital.
  • In beiden Fällen betonte das BSG, dass es nicht darauf ankomme, dass ein Geschäftsführer einer GmbH im Außenverhältnis weitreichende Befugnisse habe und ihm häufig Freiheiten hinsichtlich der Tätigkeit, zum Beispiel bei den Arbeitszeiten, eingeräumt würden. Entscheidend sei vielmehr der Grad der rechtlich durchsetzbaren Einflussmöglichkeiten auf die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung.

Quelle: BSG-Pressemitteilung 14/2018 vom 15.03.2018

 

Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nicht nur bei approbationspflichtiger
 Beschäftigung als Apotheker

  • Das Bundessozialgericht (BSG) hat in seiner Sitzung am 22.03.2018 (B 5 RE 5/16 R) entschieden, dass ein Apotheker nicht nur dann von der Versicherungspflicht befreit ist, wenn er tatsächlich als approbierter Apotheker tätig ist; ausreichend ist auch eine andere, nicht berufsfremde Tätigkeit.
  • Der Kläger, approbierter Apotheker, ist seit 2009 als Verantwortlicher für Medizinprodukte, Arzneibuchfragen und Fachinformationen in einem Unternehmen beschäftigt, das Konzepte für die Reinigungs- und Sterilisationsprozessüberwachung zur Aufbereitung von Medizinprodukten erarbeitet. Seinen im Jahr 2012 vorsorglich gestellten Antrag, ihn von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht zu befreien, hatte die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund abgelehnt; die Klage hatte vor dem Sozialgericht und dem LSG in der Sache Erfolg.
  • Auf die Revision der Beklagten hat das BSG das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung an dieses Gericht zurückverwiesen, weil es zu einzelnen Tatbestandsmerkmalen der maßgeblichen Befreiungsnorm des § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 SGB VI an tatsächlichen Feststellungen fehle.
  • Unter Zugrundelegung der - für das BSG bindenden - Feststellungen des LSG unter anderem zum Landesrecht hat der Kläger eine der Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegende Beschäftigung ausübt. Ob es sich dabei um eine Tätigkeit handelt, die eine Approbation als Apotheker voraussetzt ist dabei nicht entscheidend. Ein dem Kläger von der Beklagten bereits im Jahr 1985 wegen einer Tätigkeit als Apotheker erteilter Befreiungsbescheid hat bezogen auf die hier zu beurteilende Beschäftigung hingegen keine rechtliche Wirkung.
  • Damit hat das BSG an seine frühere Entscheidung vom 07.12.2017 (B 5 RE 10/16 R) angeknüpft.

Quelle: BSG-Pressemitteilung 19/2018 vom 22.03.2018


Jährliche Beitragsbemessungsgrenze maßgeblich bei Auflösung von Arbeitszeitkonten

  • Arbeitszeitkonten, die zur Verstetigung des Arbeitslohns geführt werden, um witterungs- und jahreszeitlich bedingten Schwankungen zu begegnen, werden im Normalfall über Freistellungen ausgeglichen. Im sogenannten „Störfall“ (Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses und Kontenausgleich durch kumulierte Auszahlung des Lohns im letzten Beschäftigungsmonat und nicht durch Freistellung) ist für die Beitragsabführung zur Sozialversicherung nicht nur die Beitragsbemessungsgrenze im konkreten Auszahlungsmonat maßgeblich, sondern die anteilige Jahresarbeitsentgeltgrenze, entschied das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Urteil vom 13.03.2018 (L 11 R 4065/16).
  • Die klagende GmbH Co. KG, ein Dienstleistungsunternehmen der Garten- und Landschaftspflege aus Mannheim, führte für ihre Mitarbeiter Arbeitszeitkonten zur Verstetigung des Arbeitslohns, um witterungs- und jahreszeitlich bedingte Schwankungen auszugleichen. Im Herbst 2013 schieden bei der Klägerin elf Arbeitnehmer aus. Daher wurden die im Jahr 2013 auf den Arbeitszeitkonten angesparten Überstunden nicht mehr für Freistellungen verwendet, sondern im letzten Monat der jeweiligen Beschäftigungsverhältnisse kumuliert ausgezahlt. Die Zahlungen wurden als laufender Arbeitslohn nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze des konkreten Auszahlungsmonats zur Sozialversicherung angemeldet und verbeitragt.
  • Die Deutsche Rentenversicherung Bund verlangte nach einer Betriebsprüfung die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 2.199,37 Euro wegen der Auszahlung der Überstunden bei Auflösung des Arbeitszeitkontos von der Klägerin. Kumuliert gezahlte Überstunden und Auflösungen von Arbeitszeitkonten seien stets laufendes Arbeitsentgelt und dem Monat zuzuordnen, in dem sie erarbeitet seien. Bei Nachzahlungen könne daher der gesamte Betrag nicht nur dem Auszahlungsmonat zugeordnet werden. Maßgeblich sei damit nicht lediglich die monatliche Beitragsbemessungsgrenze im Auszahlungsmonat, sondern die anteilige Jahresarbeitsentgeltgrenze des Nachzahlungszeitraums. Widerspruch und Klage der Arbeitgeberin vor dem Sozialgericht Mannheim waren erfolglos.
  • Auch das LSG schloss sich der Auffassung der Deutschen Rentenversicherung an. Eine eindeutige gesetzliche Regelung für diesen Fall gibt es nicht, befand das Gericht. Die Sachlage ist nach Auffassung des LSG am ehesten mit einmalig gezahltem Arbeitsentgelt vergleichbar. Das gesetzlich angeordnete Zuflussprinzip soll sicherstellen, dass die Beitragserhebung entsprechend der verstetigten Lohnzahlung erfolgen kann. Einmalig gezahltes Arbeitsentgelt ist nach der gesetzlichen Regelung dem Entgeltabrechnungszeitraum zuzuordnen, in dem es gezahlt wird. Auch das angesparte Zeitguthaben ist daher in entsprechender Anwendung dieser Regelung nach der anteiligen Jahresarbeitsentgeltgrenze zu verbeitragen. Würde man der Auffassung der Klägerin folgen und im Falle nicht vereinbarungsgemäßer Verwendung des Arbeitszeitguthabens (keine Freistellung, sondern Auszahlung bei Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses) die Beitragserhebung ohne jegliches Korrektiv allein anhand des Auszahlungsmonats vornehmen, würde dies eine erhebliche Besserstellung der sonstigen flexiblen Arbeitszeitmodelle außerhalb von Wertguthabenvereinbarungen darstellen. Denn dann wären Beiträge nur aus dem Entgelt bis zur monatlichen Beitragsbemessungsgrenze zu erheben. Eine solche Privilegierung ist aber im Gesetz an keiner Stelle angelegt.
  • Wegen grundsätzlicher Bedeutung hat das LSG die Revision zum BSG zugelassen.

Quelle: LSG-Baden-Württemberg Pressemitteilung vom 15.03.2018

 

Kein Unfallversicherungsschutz auf dem Weg vom Arzt zum Arbeitgeber

  • Erleidet ein Arbeitnehmer nach einem knapp einstündigen Arztbesuch während der Arbeitszeit auf dem Rückweg zum Betrieb einen Verkehrsunfall, liegt kein Arbeitsunfall vor.
  • Dies hat das Sozialgericht (SG) Dortmund im Falle eines Arbeitnehmers aus Siegen, mit Urteil vom 28.02.2018 (S 36 U 131/17) entschieden, der sich auf dem Rückweg zu seiner Arbeitsstätte nach dem Besuch eines Orthopäden bei einem Verkehrsunfall erheblich verletzte.
  • Die Berufsgenossenschaft Holz und Metall in Köln lehnte die Anerkennung des Unfalls als entschädigungspflichtigen Arbeitsunfall ab, weil der Weg zum Arzt und zurück eine unversicherte private Tätigkeit darstelle. Das Sozialgericht Dortmund hat die hiergegen von dem Arbeitnehmer erhobene Klage als unbegründet abgewiesen. Der Kläger sei nicht auf einem mit seiner versicherten Tätigkeit in Zusammenhang stehenden Betriebsweg verunglückt. Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit wie vorliegend der Arztbesuch seien dem persönlichen Lebensbereich des Versicherten zuzurechnen und daher unversichert. Dabei sei es unerheblich, dass der Arztbesuch auch der Erhaltung oder Wiederherstellung seiner Arbeitskraft und damit betrieblichen Belangen diene. Der Kläger habe nicht davon ausgehen können, mit dem Arztbesuch eine vermeintliche Pflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis zu erfüllen.
  • Schließlich liege kein Wegeunfall vor, weil der Kläger sich zum Zeitpunkt des Unfalls nicht auf einem versicherten Weg von einem sog. dritten Ort zu seiner Arbeitsstätte befunden habe. Hierfür habe sich der Kläger mindestens zwei Stunden in der Arztpraxis aufhalten müssen, was jedoch nicht der Fall gewesen sei.

Quelle: SG-Dortmund Pressemitteilung vom 23.03.2018