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Wichtige Urteile

BAG: Versetzung von Nachtschicht in Wechselschicht – betriebliches Wiedereingliederungsmanagement

  • Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements i. S. v. § 84 Abs. 2 SGB IX ist keine formelle Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Versetzung, entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG). Dies gilt auch in den Fällen, in denen die Anordnung des Arbeitgebers (auch) auf Gründe gestützt wird, die im Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand des Arbeitnehmers stehen.
  • Der Kläger ist als Maschinenbediener tätig. Seit 1994 leistete er zunächst Wechselschicht (Frühschicht/Spätschicht), seit 2005 wurde er von der Beklagten fast ausschließlich in der Nachtschicht eingesetzt. In den Jahren 2013 und 2014 war der Kläger jeweils an 35 Arbeitstagen aufgrund von Krankheit arbeitsunfähig. In der Zeit vom 02.12.2014 bis 26.02.2015 war er aufgrund einer suchtbedingten Therapiemaßnahme arbeitsunfähig, anschließend wurde er wieder in der Nachtschicht beschäftigt. Am 25.03.2015 fand ein sog. Krankenrückkehrgespräch statt, welches von der Beklagten nicht als Maßnahme des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) beabsichtigt und ausgestaltet war. Nach diesem Gespräch ordnete die Beklagte an, dass der Kläger seine Arbeit zukünftig wieder in Wechselschicht zu erbringen habe.
  • Der Kläger ist der Auffassung, die Anordnung sei bereits deshalb unwirksam, weil die Beklagte vor der Maßnahme kein Eingliederungsmanagement (BEM) durchgeführt habe. Im Übrigen entspreche sie nicht billigem Ermessen i. S. v. § 106 GewO, § 315 BGB; seine Interessen an der Beibehaltung der Nachtschicht seien nicht hinreichend berücksichtigt worden. Die Beklagte meint, eine Dauernachtschicht sei generell gesundheitlich belastender als jede andere Arbeitszeit. Deshalb habe sie mit der Versetzung prüfen dürfen, ob sich die gesundheitliche Situation des Klägers bei einem Einsatz in der Wechselschicht verbessere. Außerdem sei der Kläger bei Fehlzeiten in der Wechselschicht leichter ersetzbar als in der Nachtschicht. Das Arbeitsgericht hat die auf Beschäftigung in der Nachtschicht gerichtete Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht (LAG) hat ihr stattgegeben.
  • Die Revision der Beklagten hatte vor dem BAG Erfolg. Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements i. S. v. § 84 Abs. 2 SGB IX ist keine formelle Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Versetzung. Dies gilt auch in den Fällen, in denen die Anordnung (auch) auf Gründe gestützt wird, die im Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand des Arbeitnehmers stehen. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Weisung des Arbeitgebers insgesamt billigem Ermessen i. S. v. § 106 Satz 1 GewO, § 315 Abs. 1 BGB entspricht. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Mangels hinreichender Feststellungen des LAGs zu diesen Umständen konnte das BAG nicht abschließend entscheiden. Dies führt zur Zurückverweisung der Sache an das LAG.

 

Quelle: BAG-Urteil vom 18.10.2017 – 10 AZR 47/17

BAG: Betriebsübergang führt zu keinem Wiedereinstellungsanspruch im Kleinbetrieb

  • Ein Wiedereinstellungsanspruch kann grundsätzlich nur Arbeitnehmern zustehen, die Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) genießen. Dies ist nicht der Fall, wenn ein Arbeitnehmer bei einem sog. Kleinbetrieb (§ 23 Abs. 1 Satz 2 bis 4 KSchG) beschäftigt ist, entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG).
  • Der Kläger war seit 1987 bei der vormaligen Beklagten zu 1. in deren Apotheke als vorexaminierter Apothekenangestellter beschäftigt. Mit Schreiben vom 28.11.2013 kündigte die vormalige Beklagte zu 1. das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger sowie mit allen übrigen Beschäftigten zum 30.06.2014. Der Kläger, der keinen Kündigungsschutz nach dem KSchG genoss, da es sich bei dem Betrieb der vormaligen Beklagten zu 1. um einen Kleinbetrieb i. S. v. § 23 Abs. 1 Satz 2 bis 4 KSchG handelte, hat die Kündigung nicht angegriffen. Die vormalige Beklagte zu 1. führte die Apotheke über den 30.06.2014 hinaus mit verringerter Anzahl an Beschäftigten weiter. Am 01.09.2014 übernahm die Beklagte (vormalige Beklagte zu 2.) auf der Grundlage eines Kaufvertrages vom 15.07.2014 die Apotheke einschließlich des gesamten Warenlagers. In dem Kaufvertrag hatte die Beklagte sich zudem zur Übernahme und Weiterbeschäftigung von drei Arbeitnehmern verpflichtet.
  • Der Kläger hat mit seiner Klage zunächst sowohl die vormalige Beklagte zu 1. als auch die Beklagte (vormalige Beklagte zu 2.) auf Wiedereinstellung in Anspruch genommen.
  • Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Der Kläger hat das arbeitsgerichtliche Urteil nur insoweit mit der Berufung angegriffen, als seine gegen die Beklagte (vormalige Beklagte zu 2.) gerichtete Klage abgewiesen wurde. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Ein Wiedereinstellungsanspruch kann grundsätzlich nur Arbeitnehmern zustehen, die zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung Kündigungsschutz nach dem KSchG genießen.
  • Ob sich in Kleinbetrieben im Einzelfall ausnahmsweise aus § 242 BGB ein Wiedereinstellungsanspruch ergeben kann, bedurfte vorliegend keiner Entscheidung. Der Kläger hätte einen solchen Anspruch erfolgreich nur gegenüber der vormaligen Beklagten zu 1., die den Betrieb nach Ablauf der Kündigungsfrist des Klägers zunächst weitergeführt hatte, verfolgen können. Seine gegen die vormalige Beklagte zu 1. gerichtete Klage war aber rechtskräftig abgewiesen worden.

 

Quelle: BAG-Urteil vom 19.10.2017 – 8 AZR 845/15

BAG: Unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers aufgrund einer Verlängerung seiner Kündigungsfrist in AGB

  • Wird die gesetzliche Kündigungsfrist für einen Arbeitnehmer in den allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) erheblich verlängert, kann darin auch dann eine unangemessene Benachteiligung entgegen den Geboten von Treu und Glauben im Sinn von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB liegen, wenn die Kündigungsfrist für den Arbeitgeber in gleicher Weise verlängert wird.
  • Die klagende Arbeitgeberin beschäftigte den beklagten Arbeitnehmer in ihrer Leipziger Niederlassung seit Dezember 2009 in einer 45-Stunden-Woche gegen eine Vergütung von 1.400 Euro brutto. Im Juni 2012 unterzeichneten die Parteien eine Zusatzvereinbarung. Sie sah vor, dass sich die gesetzliche Kündigungsfrist für beide Seiten auf drei Jahre zum Monatsende verlängerte, und hob das monatliche Bruttogehalt auf 2.400 Euro an, ab einem monatlichen Reinerlös von 20.000 Euro auf 2.800 Euro. Das Entgelt sollte bis zum 30.05.2015 nicht erhöht werden und bei einer späteren Neufestsetzung wieder mindestens zwei Jahre unverändert bleiben. Nachdem ein Kollege des Beklagten festgestellt hatte, dass auf den Computern der Niederlassung im Hintergrund das zur Überwachung des Arbeitsverhaltens geeignete Programm „PC Agent“ installiert war, kündigten der Beklagte und weitere fünf Arbeitnehmer am 27.12.2014 ihre Arbeitsverhältnisse zum 31.01.2015. Die Klägerin will festgestellt wissen, dass das Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten bis zum 31.12.2017 fortbesteht.
  • Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Revision der Klägerin hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Die in der AGB enthaltene Verlängerung der Kündigungsfrist benachteiligt den Beklagten im Einzelfall entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Die Frist ist deshalb nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam. Bei einer vom Arbeitgeber vorformulierten Kündigungsfrist, die die Grenzen des § 622 Abs. 6 BGB und des § 15 Abs. 4 TzBfG einhält, aber wesentlich länger ist als die gesetzliche Regelfrist des § 622 Abs. 1 BGB, ist nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls unter Beachtung von Art. 12 Abs. 1 GG zu prüfen, ob die verlängerte Frist eine unangemessene Beschränkung der beruflichen Bewegungsfreiheit darstellt. Das LAG hat hier eine solche unausgewogene Gestaltung trotz der beiderseitigen Verlängerung der Kündigungsfrist ohne Rechtsfehler bejaht.
  • Der Nachteil für den Beklagten wurde auch nicht durch die vorgesehene Gehaltserhöhung aufgewogen, zumal die Zusatzvereinbarung das Vergütungsniveau langfristig einfror.

 

Quelle: BAG-Urteil vom 26.10.2017 – 6 AZR 158/16

BAG: Durch Insolvenzanfechtung erzwungene Rückzahlung von Ausbildungsvergütung

  • Das Bundesarbeitsgericht (BAG) urteilte, dass Zahlungen des Arbeitgebers an Arbeitnehmer und Auszubildende, die nicht in der geschuldeten Art erfolgen (inkongruente Deckung), vom späteren Insolvenzverwalter gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO ohne weitere Voraussetzungen zur Masse zurückgefordert werden (Insolvenzanfechtung) können, wenn die Zahlungen nach dem Insolvenzantrag vorgenommen worden sind, der zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens geführt hat. Dabei sind Zahlungen, die der Arbeitgeber erbringt, um eine unmittelbar bevorstehende Zwangsvollstreckung abzuwenden (Druckzahlungen), nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht in der geschuldeten Weise erbracht und damit inkongruent. Diese Einordnung hat der Gesetzgeber wiederholt unbeanstandet gelassen, weshalb sich das BAG der Rechtsprechung des BGH angeschlossen hat. Zuletzt wurde die im Entwurf eines „Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz“ (BT-Drs. 18/7054) vorgesehene Gesetzesänderung, nach der eine inkongruente Deckung nicht allein deswegen vorliegen sollte, weil die Befriedigung durch Zwangsvollstreckung erwirkt oder zu deren Abwendung bewirkt worden war, nicht verwirklicht. Vielmehr hat sich der Gesetzgeber bewusst dagegen entschieden, solche Zahlungen als kongruent anzusehen (BT-Drs. 18/11199 S. 10 f.).
  • Der Kläger wurde von der späteren Schuldnerin von 2008 bis 2012 zum Metallbauer ausgebildet. Ihm stand zuletzt eine monatliche Ausbildungsvergütung von 495,20 Euro brutto zu. In einem nach Abschluss seiner Ausbildung eingeleiteten Rechtsstreit schloss er im Oktober 2012 vor dem Arbeitsgericht mit der Schuldnerin einen Vergleich, in dem sich diese verpflichtete, rückständige Ausbildungsvergütung von 2.800,00 Euro netto zu zahlen. Zahlungen erfolgten jedoch erst im Dezember 2012 und Januar 2013 unter dem Druck von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, die der Kläger eingeleitet hatte. Am 15.09.2014 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Eröffnungsbeschluss nennt als Grundlage der Eröffnung neben zwei Anträgen aus dem Jahr 2014 ausdrücklich auch einen bereits am 07.10.2010 - und damit mehr als zwei Jahre vor der Zahlung der rückständigen Ausbildungsvergütung - gestellten Insolvenzantrag. Der Insolvenzverwalter verlangt mit seiner Widerklage die Rückzahlung der vom Kläger erstrittenen Ausbildungsvergütung. Der Kläger hat geltend gemacht, es sei nicht nachvollziehbar, warum das Verfahren auch auf den Antrag vom 07.10.2010 hin eröffnet worden sei. Zudem könne ihm durch die Anfechtung nicht die Ausbildungsvergütung entzogen werden, die auch sein Existenzminimum habe sichern sollen.
  • Das Arbeitsgericht hat die Widerklage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Beklagten der Widerklage stattgegeben. Die Revision des Klägers hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Die AGe waren als sog. Prozessgerichte im Anfechtungsstreit daran gebunden, dass das Amtsgericht als Insolvenzgericht im rechtskräftig gewordenen Eröffnungsbeschluss auch den Insolvenzantrag vom 07.10.2010 als Eröffnungsgrundlage bestimmt hatte. Anlass, eine verfassungsrechtlich legitimierte Anfechtungssperre bei Druckzahlungen zu erwägen, besteht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht, weil der Arbeitnehmer in solchen Fällen die zur Absicherung des Existenzminimums vorgesehenen und geeigneten staatlichen Hilfen wie Grundsicherung und Insolvenzgeld in Anspruch nehmen kann. Daran hat das BAG auch für den Fall der Rückforderung einer Ausbildungsvergütung im Wege der Insolvenzanfechtung festgehalten.

 

Quelle: BAG-Urteil vom 26.10.2017 – 6 AZR 511/16

EuGH-Generalanwalt: Von religiösen Organisationen gestellte berufliche Anforderungen unterliegen gerichtlicher Überprüfung

  • Aus den Schlussanträgen des Generalanwalts beim Europäischen Gerichtshof Evgeni Tanchev vom 09.11.2017 geht hervor, dass berufliche Anforderungen, die von religiösen Organisationen gestellt werden, der gerichtlichen Überprüfung unterliegen, wenn gegen sie der Vorwurf einer rechtswidrigen Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung erhoben wird. Die nationalen Gerichte sind dabei verpflichtet, das Recht der Organisation auf Autonomie und Selbstbestimmung gegen das Recht des Arbeitnehmers oder Stellenbewerbers abzuwägen, nicht wegen der Religion oder der Weltanschauung diskriminiert zu werden, stellt der EuGH-Generalanwalt klar (Az.: C-414/16).
  • Die Klägerin des Verfahrens bewarb sich auf eine ausgeschriebene Stelle, die vom Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung ausgeschrieben worden war, einem privatrechtlichen Hilfswerk der Evangelischen Kirche in Deutschland, das ausschließlich gemeinnützige, mildtätige und religiöse Zwecke verfolgt. Der Aufgabenbereich der auf 18 Monate befristeten Stelle umfasste die Erarbeitung eines Berichts über die Einhaltung des Übereinkommens der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung durch Deutschland. Dazu gehörte die öffentliche und fachliche Vertretung des Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung sowie die Koordination des Meinungsbildungsprozesses innerhalb dieses Verbandes. In der Stellenanzeige hieß es, dass die Mitgliedschaft in einer evangelischen oder einer der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland angehörenden Kirche vorausgesetzt werde. Die Bewerbung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Die Klägerin meint, dies hätte daran gelegen, dass sie keiner Religionsgemeinschaft angehöre.
  • Sie klagte auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von etwa 10.000 Euro, weil sie aus Gründen der Religion diskriminiert worden sei. Um zu klären, ob die Klägerin aus der Sicht des Unionsrechts rechtswidrig diskriminiert wurde oder ob ihre Ungleichbehandlung gerechtfertigt war, hat das Bundesarbeitsgericht dem Gerichtshof eine Reihe von Fragen vorgelegt. Insbesondere will es wissen, inwieweit berufliche Anforderungen, die von religiösen Organisationen unter Berufung auf das Privileg der kirchlichen Selbstbestimmung gestellt werden, gerichtlich überprüft werden können. Es möchte ferner Aufschluss darüber erhalten, wie die widerstreitenden Interessen – die Freiheit der Weltanschauung und das Recht, nicht wegen der Religion oder der Weltanschauung diskriminiert zu werden, auf der einen Seite sowie das Recht der religiösen Organisationen auf Selbstbestimmung und Autonomie auf der anderen Seite – gegeneinander abzuwägen sind.
  • Generalanwalt Tanchev hat darauf hingewiesen, dass die für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgebende Unionsrichtlinie eine Sonderregel enthalte, die für die besonderen Umstände geschaffen worden sei, unter denen religiöse Organisationen zu einer Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung berechtigt seien. Diese Regel bestimme die Parameter für den Standard der gerichtlichen Überprüfung, der gelte, wenn die Auffassung einer religiösen Organisation, dass eine Ungleichbehandlung aus Gründen der Weltanschauung keine rechtswidrige Diskriminierung darstelle, angefochten werde. Maßgeblich sei, ob die Religion oder Weltanschauung einer Person nach der Art der fraglichen Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung angesichts des Ethos der Organisation eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstelle.
  • Der Generalanwalt vertritt die Auffassung, dass ein kirchlicher Arbeitgeber nicht verbindlich selbst bestimmen könne, ob eine bestimmte Religion eines Bewerbers nach der Art der fraglichen Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts seines/ihres Ethos darstelle. Zwar müsse die gerichtliche Überprüfung des Ethos der Kirche begrenzt sein, doch heiße dies nicht, dass das Gericht eines Mitgliedstaats der Verpflichtung enthoben wäre, die fraglichen Tätigkeiten zu würdigen, um zu klären, ob die Religion oder Weltanschauung einer Person eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstelle.
  • Das Bundesarbeitsgericht habe bei der Prüfung, ob die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion bei bestimmten Tätigkeiten nach der Art der Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung und angesichts des Ethos der Organisation eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung sei, Folgendes zu berücksichtigen: Das Recht religiöser Organisationen auf Autonomie und Selbstbestimmung sei im Unionsrecht anerkannt und geschützt. Die Richtlinie und insbesondere die dortige Bezugnahme auf das "Ethos" religiöser Organisationen seien im Einklang mit diesem Grundrecht auszulegen. Die Mitgliedstaaten hätten einen weiten, aber keinen unbegrenzten Spielraum in Bezug darauf, bei welchen beruflichen Tätigkeiten nach ihrer Art oder den Umständen ihrer Ausübung die Religion oder Weltanschauung als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung anzusehen sei. Die Richtlinie sei so umzusetzen, dass das von den einzelnen Mitgliedstaaten gewählte Modell für die Gestaltung der Beziehungen zwischen Kirchen und religiösen Vereinigungen oder Gemeinschaften und dem Staat geachtet und nicht beeinträchtigt werde.
  • Das Wort "gerechtfertigt" in der Richtlinie mache eine Prüfung erforderlich, ob berufliche Anforderungen, die mit einer unmittelbaren Diskriminierung aus Gründen der Religion oder Weltanschauung verbunden seien, in angemessener Weise an den Schutz des Rechts des Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung auf Autonomie und Selbstbestimmung angepasst seien, dergestalt, dass sie zur Erreichung dieses Ziels geeignet seien. Die Worte "wesentliche, rechtmäßige" in der Richtlinie erforderten eine Analyse der Nähe der fraglichen Tätigkeiten zum Verkündigungsauftrag des Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung.
  • Die Auswirkungen ‒ im Sinne der Verhältnismäßigkeit ‒ auf das rechtmäßige Ziel, die praktische Wirksamkeit des Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Religion oder der Weltanschauung sicherzustellen, müssten gegen das Recht des Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung auf Autonomie und Selbstbestimmung abgewogen werden, wobei gebührend zu berücksichtigen sei, dass die Richtlinie nicht zwischen Einstellung und Entlassung unterscheide. Der Generalanwalt hat darauf hingewiesen, dass die vorliegende Sache einen Rechtsstreit zwischen zwei privaten Parteien betreffe, was bedeute, dass die nationalen Gerichte im Rahmen ihrer Befugnisse alles tun müssten, um das einschlägige nationale Recht im Einklang mit der Richtlinie auszulegen. Sei dies dem nationalen Gericht jedoch aufgrund eines klaren Konflikts zwischen der Richtlinie und den einschlägigen nationalen Bestimmungen unmöglich, finde diese Verpflichtung keine Anwendung mehr.
  • Sollte das Bundesarbeitsgericht zu dem Ergebnis gelangen, dass das in Rede stehende deutsche Recht nicht im Einklang mit dem in der Richtlinie enthaltenen Verbot der Diskriminierung wegen der Weltanschauung ausgelegt werden könne, stünde der Klägerin nach dem Unionsrecht die Möglichkeit offen, gegen Deutschland eine Klage auf Schadenersatz aus Staatshaftung zu erheben. Das in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zum Ausdruck kommende Verbot der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung sei nämlich kein subjektives Recht, das in einem Fall, in dem es in Widerstreit zum Recht religiöser Organisationen auf Autonomie und Selbstbestimmung stehe, horizontale Wirkung zwischen Privatpersonen entfalte.

 

Quelle: EuGH-Pressemitteilung 117/2017 vom 09.11.2017