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Urteile und Aktuelles

Betrügerische Sozialversicherungsbescheinigungen von Arbeitnehmern nicht bindend

  • Nationale Gerichte dürfen im Fall eines Betrugs die Sozialversicherungsbescheinigung von Arbeitnehmern, die innerhalb der Europäischen Union entsandt werden, unberücksichtigt lassen. Der europäische Gerichtshof hat dies mit Urteil vom 06.02.2018 entschieden (C-359/16).
  • Die belgische Sozialaufsichtsbehörde stellte im Rahmen einer Prüfung hinsichtlich der Beschäftigung der Belegschaft eines im Bausektor tätigen belgischen Unternehmens fest, dass das Unternehmen praktisch kein Personal beschäftigte und mit den Arbeiten auf sämtlichen Baustellen bulgarische Unternehmen als Subunternehmer betraute, die Arbeitnehmer nach Belgien entsandten. Die Beschäftigung der betroffenen Arbeitnehmer war bei dem belgischen Träger, dem die Erhebung der Sozialversicherungsbeiträge obliegt, nicht angemeldet worden, da sie Bescheinigungen E 101 oder A 1 des zuständigen bulgarischen Trägers besaßen, die attestierten, dass sie dem bulgarischen System der sozialen Sicherheit angehörten.
  • Eine im Rahmen eines Rechtshilfeersuchens eines belgischen Untersuchungsrichters in Bulgarien durchgeführte gerichtliche Untersuchung ergab, dass die bulgarischen Unternehmen in Bulgarien keine nennenswerte Geschäftstätigkeit ausübten. Die belgischen Behörden reichten daher beim zuständigen bulgarischen Träger einen mit Gründen versehenen Antrag auf erneute Prüfung oder Widerruf der fraglichen Bescheinigungen ein. In seiner Antwort übermittelte dieser Träger eine Aufstellung der Bescheinigungen, ohne die von den belgischen Behörden festgestellten und bewiesenen Tatsachen zu berücksichtigen. Die belgischen Behörden leiteten danach Strafverfahren gegen die Verantwortlichen des belgischen Unternehmens ein.
  • Die Verantwortlichen wurden wegen Betrugs verurteilt. Die vorgelegten Bescheinigungen seien betrügerisch erwirkt worden. Das Instanzengericht wandte sich an den Gerichtshof zur Klärung der Frage, ob die Gerichte des Aufnahmemitgliedstaats eine Bescheinigung E 101 für nichtig erklären oder außer Acht lassen können, wenn der Sachverhalt, über den sie zu befinden haben, ihnen die Feststellung erlaubt, dass die Bescheinigung betrügerisch erwirkt oder geltend gemacht wurde.
  • Der Gerichtshof hat nationalen Gerichten unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit zugestanden, betrügerisch erwirkte Sozialversicherungsnachweise für wirkungslos zu erklären. Nach dem Grundsatz der wechselseitigen Loyalität müsse zwar grundsätzlich von der Ordnungsgemäßheit der Sozialversicherungsbescheinigungen und einer daraus resultierenden Bindungswirkung ausgegangen werden. Der Träger des Aufnahmemitgliedstaats dürfe den betreffenden Arbeitnehmer nicht seinem eigenen System der sozialen Sicherheit unterstellen.
  • Allerdings ergebe sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit auch, dass jeder Träger eines Mitgliedstaats eine sorgfältige Prüfung der Anwendung seiner eigenen Regelung der sozialen Sicherheit vorzunehmen habe. Folglich müsse der zuständige Träger des Mitgliedstaats, der die Bescheinigung ausgestellt hat, überprüfen, ob die Ausstellung zu Recht erfolgt ist, und diese Bescheinigung gegebenenfalls zurückziehen, wenn der zuständige Träger des Aufnahmemitgliedstaats Zweifel an der Richtigkeit des der Bescheinigung zugrunde liegenden Sachverhalts geltend mache. Der Gerichtshof hat darauf hingewiesen, dass das für die Beilegung etwaiger Streitigkeiten zwischen den Trägern der betreffenden Mitgliedstaaten über die Gültigkeit oder die Richtigkeit einer Bescheinigung vorgesehene Verfahren einzuhalten sei.
  • Diese Erwägungen dürften jedoch nicht dazu führen, dass sich die Rechtsunterworfenen in betrügerischer oder missbräuchlicher Weise auf die Rechtsvorschriften der Union berufen können. Nehme der ausstellende Träger nicht innerhalb einer angemessenen Frist eine erneute Überprüfung vor, müssten die Beweise für das Vorliegen eines Betrugs im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens geltend gemacht werden dürfen, um zu erreichen, dass das Gericht des Aufnahmemitgliedstaats die Bescheinigungen außer Acht lässt. Beschuldigte, denen in einem solchen Verfahren zur Last gelegt wird, entsandte Arbeitnehmer unter Verwendung von angeblich betrügerisch erlangten Bescheinigungen eingesetzt zu haben, müssten aber die Möglichkeit erhalten, die Anschuldigungen zu entkräften.
  • Im vorliegenden Fall könne das nationale Gericht die fraglichen Bescheinigungen außer Acht lassen, da zum einen der belgische Träger den bulgarischen Träger mit einem Antrag auf erneute Prüfung und Widerruf der Bescheinigungen im Licht von im Rahmen einer gerichtlichen Prüfung gesammelten Beweisen befasst hat, die die Feststellung erlaubt haben, dass die Bescheinigungen betrügerisch erlangt oder geltend gemacht wurden, und da zum anderen der bulgarische Träger es unterlassen hat, diese Beweise zu berücksichtigen. Das nationale Gericht habe ferner festzustellen, ob die Personen, die verdächtigt werden, entsandte Arbeitnehmer unter Verwendung von betrügerisch erwirkten Bescheinigungen eingesetzt zu haben, auf der Grundlage des anwendbaren innerstaatlichen Rechts zur Verantwortung gezogen werden können.

 

Quelle: EuGH-Pressemitteilung 10/18 vom 06.02.2018

Massenentlassung schützt schwangere Arbeitnehmerinnen nicht

  • Eine schwangere Arbeitnehmerin darf im Rahmen einer Massenentlassung gekündigt werden. Dies hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Urteil vom 22.02.2018 entschieden (C-103/16). In diesem Fall muss der Arbeitgeber der entlassenen schwangeren Arbeitnehmerin nur die Gründe für die Massenentlassung und die sachlichen Kriterien mitteilen, nach denen die zu entlassenden Arbeitnehmer ausgewählt worden seien.
  • Das spanische Unternehmen Bankia nahm am 09.01.2013 Konsultationen mit der Arbeitnehmervertretung wegen einer geplanten Massenentlassung auf. Am 08.02.2013 erzielte das Verhandlungsgremium eine Vereinbarung, in der die maßgeblichen Kriterien dafür festgelegt wurden, welchen Arbeitnehmern gekündigt werden sollte und welche in dem Unternehmen weiter beschäftigt würden.
  • Am 13.11.2013 stellte der Arbeitgeber gemäß dieser in dem Gremium getroffenen Vereinbarung einer Arbeitnehmerin, die zu diesem Zeitpunkt schwanger war, ein Kündigungsschreiben zu. Darin hieß es u. a., dass für die spanische Provinz, in der sie arbeite, weitgreifende Personalanpassungen erforderlich seien und dass nach dem Bewertungsverfahren, das das Unternehmen in der Konsultationsphase durchgeführt habe, ihr Ergebnis zu den niedrigsten in dieser Provinz zähle.
  • Die Richtlinie 92/85 verbietet die Kündigung von Arbeitnehmerinnen in der Zeit vom Schwangerschaftsbeginn bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs; davon ausgenommen sind die nicht mit ihrem Zustand in Zusammenhang stehenden Ausnahmefälle, die entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten zulässig sind.
  • In seinem Urteil hat der EuGH entschieden, dass die Richtlinie 92/85 nicht einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der die Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmerin aufgrund einer Massenentlassung zulässig ist. Der EuGH weist darauf hin, dass eine Kündigungsentscheidung, die aus Gründen erging, die wesentlich mit der Schwangerschaft der Betroffenen zusammenhängen, mit dem in dieser Richtlinie vorgesehenen Kündigungsverbot unvereinbar ist. Dagegen verstößt eine Kündigungsentscheidung in der Zeit vom Schwangerschaftsbeginn bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs aus Gründen, die nichts mit der Schwangerschaft der Arbeitnehmerin zu tun haben, nicht gegen die Richtlinie 92/85, wenn der Arbeitgeber schriftlich berechtigte Kündigungsgründe anführt und die Kündigung der Betroffenen nach den betreffenden einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten zulässig ist. Hieraus folgt, dass die nicht in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründe, die im Rahmen von Massenentlassungen im Sinne der Richtlinie 98/59 geltend gemacht werden können, unter die nicht mit dem Zustand der Arbeitnehmerinnen in Zusammenhang stehenden Ausnahmefälle im Sinne der Richtlinie 92/85 fallen.
  • Ferner hat der EuGH befunden, dass die Richtlinie 92/85 nicht einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der ein Arbeitgeber einer schwangeren Arbeitnehmerin im Rahmen einer Massenentlassung kündigen kann, ohne ihr weitere Gründe zu nennen als diejenigen, die die Massenentlassung rechtfertigen, solange die sachlichen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer angegeben werden. Hierzu ist nach den beiden Richtlinien in ihrer Kombination nur erforderlich, dass der Arbeitgeber die nicht in der Person der schwangeren Arbeitnehmerin liegenden Gründe schriftlich darlegt, aus denen er die Massenentlassung vornimmt (nämlich wirtschaftliche, technische oder sich auf Organisation oder Produktion des Unternehmens beziehende Gründe), und der betroffenen Arbeitnehmerin die sachlichen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer nennt.
  • Der EuGH hebt hervor, dass die Richtlinie 92/85 ausdrücklich zwischen dem präventiven Schutz vor der Kündigung selbst und dem Schutz vor den Folgen der Kündigung als Wiedergutmachung unterscheidet. Die Mitgliedstaaten müssen daher diesen doppelten Schutz gewährleisten. Angesichts der Gefahr, die eine mögliche Entlassung für die physische und psychische Verfassung von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen oder stillenden Arbeitnehmerinnen darstellt, einschließlich des besonders schwerwiegenden Risikos, dass eine schwangere Arbeitnehmerin zum freiwilligen Abbruch ihrer Schwangerschaft veranlasst wird, kommt dem präventiven Schutz im Rahmen der Richtlinie 92/85 besondere Bedeutung zu. Das in der Richtlinie vorgesehene Kündigungsverbot trägt diesen Bedenken Rechnung. Daher ist der EuGH der Auffassung, dass der Schutz im Wege der Wiedergutmachung selbst dann, wenn er zur Wiedereingliederung der entlassenen Arbeitnehmerin und zur Zahlung der wegen der Entlassung nicht erhaltenen Gehälter führt, den präventiven Schutz nicht zu ersetzen vermag. Folglich dürfen sich die Mitgliedstaaten nicht darauf beschränken, im Fall einer ungerechtfertigten Kündigung lediglich deren Unwirksamkeit als Wiedergutmachung vorzusehen.
  • Zwei weitere Fragen des spanischen Gerichts hat der EuGH dahin beantwortet, dass die Richtlinie 92/85 nicht einer nationalen Regelung entgegensteht, die im Rahmen einer Massenentlassung im Sinne der Richtlinie 98/59 für schwangere Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen oder stillende Arbeitnehmerinnen weder einen Vorrang der Weiterbeschäftigung noch einen Vorrang der anderweitigen Verwendung vor dieser Entlassung vorsieht. Hierzu sind die Mitgliedstaaten nach der Richtlinie 92/85 nämlich nicht verpflichtet. Da diese Richtlinie lediglich Mindestvorschriften enthält, besitzen die Mitgliedstaaten jedoch die Möglichkeit, diesen Gruppen von Arbeitnehmerinnen einen weiter gehenden Schutz zu gewähren.

 

Quelle: EuGH – Pressemitteilung 15/18 vom 22.02.2018

Bereitschaftszeit zu Hause kann Arbeitszeit sein

  • Bereitschaftszeit, die ein Arbeitnehmer zu Hause verbringt und während der er der Verpflichtung unterliegt, einem Ruf des Arbeitgebers zum Einsatz innerhalb kurzer Zeit Folge zu leisten, ist Arbeitszeit entschied der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH). Der EuGH verwies in seinem Urteil (C-518/15) darauf, dass die Verpflichtung, persönlich an dem vom Arbeitgeber bestimmten Ort anwesend zu sein, sowie die Vorgabe, sich innerhalb kurzer Zeit am Arbeitsplatz einzufinden, die Möglichkeiten eines Arbeitnehmers erheblich einschränke, sich anderen Tätigkeiten zu widmen.
  • Der Feuerwehrdienst von Nivelles (Belgien) umfasst Berufsfeuerwehrleute und freiwillige Feuerwehrleute. Letztere nehmen an den Einsätzen teil und nehmen auch Wach- und Bereitschaftsdienste wahr. Herr Rudy Matzak wurde 1981 freiwilliger Feuerwehrmann. Außerdem ist er Angestellter eines Privatunternehmens. Im Jahr 2009 klagte er gegen die Stadt Nivelles, um u. a. eine Entschädigung für seine zu Hause geleisteten Bereitschaftsdienste zu erhalten, die seiner Ansicht nach als Arbeitszeit einzuordnen sind.
  • Der mit dem Rechtsmittel in diesem Rechtsstreit befasste Arbeitsgerichtshof Brüssel, hat entschieden, den EuGH zu befragen. Es war zu klären, ob die zu Hause geleisteten Bereitschaftsdienste unter die Arbeitszeit fallen. In seinem Urteil weist der EuGH zunächst darauf hin, dass die Mitgliedstaaten im Hinblick auf bestimmte Kategorien von bei öffentlichen Feuerwehrdiensten beschäftigten Feuerwehrleuten nicht von allen Verpflichtungen aus der Richtlinie, darunter die Begriffe „Arbeitszeit“ und „Ruhezeit“, abweichen dürfen.
  • Auch gestattet die Richtlinie den Mitgliedstaaten nicht, eine andere Definition des Begriffs „Arbeitszeit“ beizubehalten oder einzuführen als die in der Richtlinie bestimmte. Auch wenn die Richtlinie für die Mitgliedstaaten die Möglichkeit vorsieht, für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstigere Vorschriften anzuwenden oder zu erlassen, besteht diese Möglichkeit nämlich nicht für die Definition des Begriffs „Arbeitszeit“. Diese Feststellung wird durch die Zielsetzung der Richtlinie bestätigt, die sicherstellen soll, dass die in ihr enthaltenen Definitionen nicht nach dem jeweiligen nationalen Recht unterschiedlich ausgelegt werden. Der EuGH weist jedoch darauf hin, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, in ihrem jeweiligen nationalen Recht Regelungen zu treffen, die günstigere Arbeits- und Ruhezeiten für Arbeitnehmer vorsehen als die in der Richtlinie festgelegten.
  • Ferner regelt die Richtlinie nicht die Frage des Arbeitsentgelts für Arbeitnehmer, da dieser Aspekt außerhalb der Zuständigkeit der Union liegt. Die Mitgliedstaaten können somit in ihrem nationalen Recht bestimmen, dass das Arbeitsentgelt eines Arbeitnehmers für die „Arbeitszeit“ von dem für die „Ruhezeit“ abweicht, und dies sogar so weit, dass für letztere Zeiten gar kein Arbeitsentgelt gewährt wird. Schließlich stellt der EuGH klar, dass die Bereitschaftszeit, die ein Arbeitnehmer zu Hause verbringen muss und während deren er der Verpflichtung unterliegt, einem Ruf des Arbeitgebers zum Einsatz innerhalb von acht Minuten Folge zu leisten – was die Möglichkeit, anderen Tätigkeiten nachzugehen, erheblich einschränkt –, als Arbeitszeit anzusehen ist. Insoweit ist für die Einordnung als Arbeitszeit im Sinne der Richtlinie entscheidend, dass sich der Arbeitnehmer an dem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhalten und diesem zur Verfügung stehen muss, um gegebenenfalls sofort die geeigneten Leistungen erbringen zu können.
  • In dieser Rechtssache musste der Arbeitnehmer offenbar während seines Bereitschaftsdienstes nicht nur erreichbar sein. Zum einen war er verpflichtet, einem Ruf seines Arbeitgebers zum Einsatzort innerhalb von acht Minuten Folge zu leisten, und zum anderen musste er an einem von seinem Arbeitgeber bestimmten Ort persönlich anwesend sein. Der EuGH stellt fest, dass, selbst wenn es sich bei diesem Ort im vorliegenden Fall um den Wohnsitz des Arbeitnehmer und nicht um seinen Arbeitsplatz handelte, die Verpflichtung, persönlich an dem vom Arbeitgeber bestimmten Ort anwesend zu sein, sowie die Einschränkung, die sich aus geografischer und zeitlicher Sicht aus dem Erfordernis ergibt, sich innerhalb von acht Minuten am Arbeitsplatz einzufinden, objektiv die Möglichkeiten eines Arbeitnehmers in Herrn Matzaks Lage einschränken können, sich seinen persönlichen und sozialen Interessen zu widmen. Angesichts dieser Einschränkungen unterscheidet sich die Situation von Herrn Matzak von der eines Arbeitnehmers, der während seines Bereitschaftsdienstes einfach nur für seinen Arbeitgeber erreichbar sein muss.

 

Quelle: EuGH – Pressemitteilung 14/18 vom 21.02.2018

Befristung der Verlängerung eines Arbeitsverhältnisses über Regelaltersgrenze hinaus ist zulässig

  • Die Befristung der Verlängerung eines Arbeitsverhältnisses über die Regelaltersgrenze hinaus ist zulässig entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Urteil vom 28.02.2018 (C-46/17) im Fall eines angestellten Lehrers aus Bremen. Weder verstoße eine entsprechende Regelung (§ 41 Satz 3 SGB VI) gegen das Altersdiskriminierungsverbot noch könne der Arbeitnehmer geltend machen, dass es sich dabei um einen Missbrauch befristeter Arbeitsverträge handelt.
  • Der Kläger des Ausgangsverfahrens wurde von der Stadt Bremen als Lehrer angestellt. Kurz vor Erreichen der Regelaltersgrenze beantragte er, über diesen Zeitpunkt hinaus weiterbeschäftigt zu werden. Die Stadt Bremen erklärte sich damit einverstanden, das Arbeitsverhältnis bis zum Ende des Schuljahres 2014/2015 zu verlängern. Den vom Ausgangskläger in der Folge gestellten Antrag, das Arbeitsverhältnis bis zum Ende des ersten Schulhalbjahres 2015/2016 zu verlängern, lehnte sie jedoch ab. Mit seiner daraufhin erhobenen Klage gegen die Stadt Bremen macht der Ausgangskläger geltend, die Befristung der gewährten Verlängerung des Arbeitsverhältnisses verstoße gegen Unionsrecht.
  • Das Vorlagegericht, das LAG Bremen, wies darauf hin, dass § 41 Satz 3 SGB VI es den Arbeitsvertragsparteien unter bestimmten Voraussetzungen ermöglicht, den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinauszuschieben, nur weil der Arbeitnehmer durch Erreichen der Regelaltersgrenze einen Anspruch auf Altersrente hat. Das LAG wollte im Vorabentscheidungsverfahren vom EuGH wissen, ob eine solche Regelung mit dem Altersdiskriminierungsverbot in der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie 2000/78 EG und der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (zur Verhinderung von Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge) vereinbar ist.
  • Nach Auffassung des EuGH verstößt eine solche Regelung nicht gegen das Altersdiskriminierungsverbot. Es sei unter diesem Aspekt nicht zu beanstanden, dass bei Arbeitnehmern, die die Regelaltersgrenze erreicht haben, das Hinausschieben des Zeitpunkts der Beendigung des Arbeitsverhältnisses von einer befristet erteilten Zustimmung des Arbeitgebers abhängig ist. Personen, die das Rentenalter erreicht haben, würden durch eine solche Regelung nicht gegenüber Personen, die dieses Alter noch nicht erreicht haben, benachteiligt. Die Regelung, nach der das Ende des Arbeitsverhältnisses mehrfach hinausgeschoben werden könne, und zwar ohne weitere Voraussetzungen und zeitlich unbegrenzt, stelle eine Ausnahme vom Grundsatz der automatischen Beendigung des Arbeitsvertrags bei Erreichen der Regelaltersgrenze dar. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses setze in jedem Fall die Zustimmung beider Vertragsparteien voraus.
  • In Bezug auf die Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge bezweifelt der EuGH, ob die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses hier als Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge angesehen werden könne. Denn es erscheine nicht ausgeschlossen, sie als bloße vertragliche Verschiebung des ursprünglich vereinbarten Rentenalters aufzufassen. Aus den Akten sei nicht ersichtlich, dass die streitige Regelung geeignet ist, den Abschluss aufeinanderfolgender Arbeitsverträge zu fördern, oder eine Quelle potenziellen Missbrauchs zulasten der Arbeitnehmer darstellt. Jedenfalls könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Regelaltersgrenzen systematisch zu einer Prekarisierung der Lage der betreffenden Arbeitnehmer im Sinne der Rahmenvereinbarung führten, sofern die Arbeitnehmer in den Genuss einer abschlagsfreien Rente kämen und insbesondere wenn eine Verlängerung des fraglichen Arbeitsvertrags durch den Arbeitgeber zulässig sei.
  • Für den Fall, dass das LAG dennoch die dem Ausgangskläger zugestandene Verlängerung des Arbeitsverhältnisses als Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge werten sollte, verneint der EuGH jedenfalls einen Verstoß gegen die Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge. Er verweist insoweit auf die Ausführungen des LAG, wonach sich ein Arbeitnehmer, der das Regelalter für den Bezug der gesetzlichen Altersrente erreicht, von anderen Arbeitnehmern nicht nur hinsichtlich seiner sozialen Absicherung unterscheide, sondern auch dadurch, dass er sich regelmäßig am Ende seines Berufslebens befinde und damit im Hinblick auf die Befristung seines Vertrags nicht vor der Alternative stehe, in den Genuss eines unbefristeten Vertrags zu kommen. Außerdem sei bei der Verlängerung des Arbeitsverhältnisses, um die es hier gehe, gewährleistet, dass der betreffende Arbeitnehmer zu den ursprünglichen Bedingungen weiterbeschäftigt wird und gleichzeitig seinen Anspruch auf eine Altersrente behält.

 

Quelle: EuGH-Pressemitteilung 23/18 vom 28.02.2018

Karenzentschädigung - Rücktritt vom nachvertraglichen Wettbewerbsverbot

  • Bei einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot nach §§ 74 ff. HGB handelt es sich um einen gegenseitigen Vertrag i.S.d. §§ 320ff BGB. Die Karenzentschädigung ist Gegenleistung für die Unterlassung von Konkurrenztätigkeit. Erbringt eine Vertragspartei ihre Leistung nicht, kann die andere Vertragspartei vom Wettbewerbsverbot zurücktreten, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind (§§ 323 ff. BGB). Ein solcher Rücktritt entfaltet Rechtswirkungen erst für die Zeit nach dem Zugang der Erklärung (ex nunc), entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Urteil vom 31.01.2018 (10 AZR 392/17).
  • Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 01.02.2014 als "Beauftragter technische Leitung" zu einem Bruttomonatsverdienst von zuletzt 6.747,20 Euro beschäftigt. Im Arbeitsvertrag der Parteien war für den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein dreimonatiges Wettbewerbsverbot vereinbart worden. Hierfür sollte der Kläger eine Karenzentschädigung in Höhe von 50 % der monatlich zuletzt bezogenen durchschnittlichen Bezüge erhalten. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund der Eigenkündigung des Klägers zum 31.01.2016. Mit E-Mail vom 01.03.2016 forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 04.03.2016 vergeblich zur Zahlung der Karenzentschädigung für den Monat Februar 2016 auf. Am 08.03.2016 übermittelte der Kläger an die Beklagte eine weitere E-Mail. Hierin heißt es u. a.:

 

"Bezugnehmend auf Ihre E-Mail vom 1. März 2016 sowie das Telefonat mit Herrn B. möchte ich Ihnen mitteilen, dass ich mich ab sofort nicht mehr an das Wettbewerbsverbot gebunden fühle."

  • Mit seiner Klage macht der Kläger die Zahlung einer Karenzentschädigung in Höhe von 10.120,80 Euro brutto nebst Zinsen für drei Monate geltend. Er vertritt die Auffassung, sich nicht einseitig vom Wettbewerbsverbot losgesagt zu haben. Die Erklärung in der E-Mail vom 08.03.2016 sei lediglich eine Trotzreaktion gewesen. Die Beklagte meint, durch die E-Mail vom 08.03.2016 habe der Kläger wirksam seinen Rücktritt erklärt. Das Arbeitsgericht hat der Klage vollständig stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht (LAG) das Urteil teilweise abgeändert und einen Anspruch auf Karenzentschädigung nur für die Zeit vom 01.02. bis zum 08.03.2016 zugesprochen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
  • Die Revision des Klägers hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Da es sich beim nachvertraglichen Wettbewerbsverbot um einen gegenseitigen Vertrag handelt, finden die allgemeinen Bestimmungen über den Rücktritt (§§ 323 ff. BGB) Anwendung. Die Karenzentschädigung ist Gegenleistung für die Unterlassung von Konkurrenztätigkeit. Erbringt eine Vertragspartei ihre Leistung nicht, kann die andere Vertragspartei vom Wettbewerbsverbot zurücktreten, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Ein Rücktritt wirkt dabei ex nunc, d. h. für die Zeit nach dem Zugang der Erklärung entfallen die wechselseitigen Pflichten. Die Beklagte hat die vereinbarte Karenzentschädigung nicht gezahlt, der Kläger war deshalb zum Rücktritt berechtigt. Die Annahme des LAGs, der Kläger habe mit seiner E-Mail vom 08.03.2016 wirksam den Rücktritt vom Wettbewerbsverbot erklärt, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Damit steht ihm für die Zeit ab dem 09.03.2016 keine Karenzentschädigung zu.

 

Quelle: BAG-Pressemitteilung 5/18 vom 31.01.2018

Hinterbliebenenversorgung und Altersabstandsklausel ist keine Altersdiskriminierung

  • Sieht eine Regelung in einer Versorgungsordnung vor, dass Ehegatten nur dann eine Hinterbliebenenversorgung erhalten, wenn sie nicht mehr als 15 Jahre jünger als der Versorgungsberechtigte sind, liegt darin keine gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verstoßende Diskriminierung wegen des Alters, entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Urteil vom 20.02.2018 – 3 AZR 43/17.
  • Die Klägerin ist 1968 geboren. Sie hat ihren 1950 geborenen und 2011 verstorbenen Ehemann im Jahr 1995 geheiratet. Dem verstorbenen Ehemann der Klägerin war von seinem Arbeitgeber u. a. eine Hinterbliebenenversorgung zugesagt worden. Nach der Versorgungsordnung setzt der Anspruch auf Leistungen an die Ehegatten voraus, dass sie nicht mehr als 15 Jahre jünger als der Versorgungsberechtigte sind.
  • Nach Ansicht des BAG ist die durch diese Altersabstandsklausel bewirkte unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters gerechtfertigt. Der Arbeitgeber, der eine Hinterbliebenenversorgung zusagt, hat ein legitimes Interesse, das hiermit verbundene finanzielle Risiko zu begrenzen. Die Altersabstandsklausel ist auch erforderlich und angemessen. Sie führt nicht zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der legitimen Interessen der versorgungsberechtigten Arbeitnehmer, die von der Klausel betroffen sind. Bei einem Altersabstand von mehr als 15 Jahren ist der gemeinsame Lebenszuschnitt der Ehepartner darauf angelegt, dass der Hinterbliebene einen Teil seines Lebens ohne den Versorgungsberechtigten verbringt. Zudem werden wegen des Altersabstands von mehr als 15 Jahren nur solche Ehegatten von dem Ausschluss erfasst, deren Altersabstand zum Ehepartner den üblichen Abstand erheblich übersteigt.

 

Quelle: BAG – Pressemitteilung 9/18 vom 20.02.2018

Annahmeverzugsvergütung wegen fehlender oder unwirksamer Kündigung des Arbeitsverhältnisses gilt als Neumasseverbindlichkeit

  • Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 22.02.2018 (6 AZR 868/16) entschieden, kündigt ein Insolvenzverwalter in einer masseunzulänglichen Insolvenz das Arbeitsverhältnis rechtzeitig, d. h. spätestens zum erstmöglichen Termin nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit, gelten Annahmeverzugsansprüche, die im Fall der Unwirksamkeit der Kündigung für die Zeit nach diesem Termin entstehen, gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 2, § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO als Neumasseverbindlichkeiten.
  • Die Klägerin war seit 1996 bei dem Schuldner, der bundesweit zahlreiche Drogeriegeschäfte betrieb, zuletzt als Filialleiterin mit einem Entgelt von 2.680,60 Euro brutto beschäftigt. Am 28.03.2012 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Am 31.08.2012 zeigte dieser die drohende Masseunzulänglichkeit an. Bereits zuvor war das Arbeitsverhältnis vom Beklagten am 28.03. zum 30.06.2012 sowie am 23.08. zum 30.11.2012 gekündigt worden. Diese Kündigungen wurden durch arbeitsgerichtliche Urteile, die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit ergingen, rechtskräftig für unwirksam erklärt. Nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit hätte das Arbeitsverhältnis rechtswirksam frühestens zum 31.12.2012 gekündigt werden können. Das Arbeitsverhältnis endete tatsächlich erst nach einer weiteren Kündigung des Beklagten vom 16.05.2013 durch einen arbeitsgerichtlichen Vergleich mit dem 31.08.2013. Die Klägerin begehrt die Zahlung der Annahmeverzugsvergütung für die Zeit vom 01.01. bis zum 31.08.2013. Sie hat die Auffassung vertreten, der Beklagte sei verpflichtet gewesen, das Arbeitsverhältnis nach der Anzeige durch eine weitere, spätestens zum 31.12.2012 wirkende Kündigung zu beenden. Weil er eine solche Kündigung unterlassen habe, seien die eingeklagten Entgeltansprüche Neumasseverbindlichkeiten.
  • Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Die Revision des Beklagten hatte vor dem BAG keinen Erfolg. § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO legt den Termin fest, bis zu dem der Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis spätestens beendet haben muss, um Neumasseverbindlichkeiten zu vermeiden. Dafür ist nicht zwingend erforderlich, dass er nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigt. Er kann auch an einer bereits zuvor erklärten Kündigung festhalten, die das Arbeitsverhältnis im Falle ihrer Wirksamkeit spätestens zu dem von § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO vorgegebenen Termin beendet. Er trägt dann jedoch das Risiko, dass sich diese Kündigung als unwirksam erweist und folglich Neumasseverbindlichkeiten begründet werden. Gleiches gilt, wenn der Insolvenzverwalter erstmals nach der Anzeige rechtzeitig kündigt und diese Kündigung unwirksam ist.

 

Quelle: BAG – Pressemitteilung 11/18 vom 22.02.2018

Senior Partner und Geschäftsführer einer Managementberatungsgesellschaft ist kein Arbeitnehmer

  • Ein Senior Partner und Geschäftsführer einer internationalen Managementberatung wandte sich in erster und zweiter Instanz erfolglos gegen die Beendigung seines Dienstverhältnisses. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) wurde nicht zugelassen.
  • Der Kläger wurde im Jahr 2004 bei der Beklagten als „vice president“ (damalige Bezeichnung für Partner) nach einem Quereinstieg angestellt. Im Jahr 2005 schlossen die Parteien ein „transfer agreement“, nach dem der Kläger zum Geschäftsführer ernannt und in ein entsprechendes Dienstverhältnis übernommen wurde. Ein zuvor bestehendes Arbeitsverhältnis wurde zugleich ausdrücklich aufgehoben.
  • Die Beklagte bestellte über 100 Partner – wie den Kläger – zu Geschäftsführen. Eine Eintragung in das Handelsregister – für die nach dem GmbHG die Geschäftsführer selbst zu sorgen haben – erfolgte zunächst nicht.
  • Zu den Aufgaben des Klägers gehörte die Kundenakquise und Pflege von Kundenbeziehungen, die eigene Beratungstätigkeit beim Kunden sowie die Leitung von Kundenprojekten. Dem Kläger wurde ein Büro in den Räumlichkeiten der Beklagten in Köln zur Verfügung gestellt. Es war ihm gestattet, von zu Hause oder anderswo zu arbeiten; seine Tätigkeit war nicht ortsgebunden. Feste Wochenarbeitszeiten waren dem Kläger weder dem Umfang noch der Lage nach vorgegeben. Seine umfangreiche Reisetätigkeit musste er nicht genehmigen lassen, sondern diese lediglich nach Reiserichtlinie der Beklagten abwickeln. Der Kläger bezog zuletzt als Senior Partner unter Berücksichtigung fixer und variabler Vergütungsbestandteile ein durchschnittliches Monatseinkommen von ungefähr 91.500 Euro brutto.
  • Die Beklagte beendete die vertraglichen Beziehungen zum Kläger mit Schreiben vom 21.10.2015 zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist. Der Kläger hielt die Kündigung nach den Regeln des Kündigungsschutzgesetzes für sozial nicht gerechtfertigt. Am 18.01.2018 wies das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln die Berufung des Klägers gegen die erstinstanzliche Entscheidung zurück und ließ die Revision nicht zu. Nach der mündlichen Verhandlung war für das LAG entscheidend, dass der Kläger nicht als Arbeitnehmer angesehen werden und sich deshalb nicht auf das Kündigungsschutzgesetz berufen könne. Die Parteien hatten im „transfer agreement“ von 2005 ein mögliches Arbeitsverhältnis ausdrücklich beendet und ein Geschäftsführerdienstverhältnis begründet. Eine für ein Arbeitsverhältnis typische Weisungsabhängigkeit war für das LAG nicht ausreichend erkennbar.
  • Für die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte war die Behauptung des Klägers ausreichend, Arbeitnehmer zu sein.

 

Quelle: LAG-Köln Pressemitteilung 1/2018 vom 18.01.2018

Arbeitgeber darf Arbeitnehmer wegen mehr als zweijähriger Freiheitsstrafe kündigen

  • Das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) urteilte am 21.11.2017 (8 Sa 146/17) über eine Kündigungsschutzklage eines jungen Vaters, der wegen seiner Beteiligung an einem versuchten Raubüberfall rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt worden war. Die Tat stand in keinem Bezug zu seinem Arbeitsverhältnis als Bäcker. Als er im September 2016 seine Haft antreten musste, kündigte sein Arbeitgeber, weil der Arbeitnehmer, der im Betrieb bereits seine Ausbildung gemacht hatte, künftig mehr als zwei Jahre ausfallen werde. Hiergegen erhob der Arbeitnehmer Klage und argumentierte, dass er aufgrund seiner günstigen Sozialprognose damit rechnen könne, nach Verbüßen der Hälfte - zumindest aber von zwei Dritteln - der Haftstrafe vorzeitig entlassen zu werden. Sein Arbeitgeber wäre außerdem auch verpflichtet, ihm seinen Arbeitsplatz freizuhalten, wenn er z. B. nach der Geburt seines Kindes einen dreijährigen Erziehungsurlaub genommen hätte.
  • Das LAG wies die Klage im Berufungsverfahren ab, wie zuvor schon das Arbeitsgericht Wiesbaden. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass ein Arbeitgeber eine Kündigung aussprechen darf, wenn zu diesem Zeitpunkt damit zu rechnen ist, dass der Arbeitnehmer länger als zwei Jahre ausfallen wird. Überbrückungsmaßnahmen sind nicht erforderlich, der Arbeitsplatz kann endgültig neu besetzt werden. Dies war auch für den jungen Vater nicht anders zu bewerten. Als er die Freiheitsstrafe antrat, stand nicht sicher fest, ob er seine Strafe vollständig verbüßen oder z.B. früh in den offenen Vollzug wechseln würde. Entwicklungen in der Vollzugszeit, die erst nach der Kündigung eintraten, sind nicht erheblich.
  • Ein Vergleich mit dem gesetzlich geregelten Ruhen eines Arbeitsverhältnisses während der Elternzeit sei nicht gerechtfertigt, da dies dem Schutz der Familie dient.

 

Quelle: LAG-Hessen – Pressemitteilung 02/2018 vom 08.02.2018

Sturz bei Prüfung der Fahrbahn auf Glätte kein Wegeunfall

  • Prüft ein Arbeitnehmer, bevor er mit dem Auto zur Arbeit fährt, ob die Fahrbahn glatt ist und verletzt sich auf dem Rückweg zu seinem Auto, liegt darin kein versicherter Arbeitsunfall. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) am 23.08.2018 entschieden (B 2 U 3/16 R).
  • In dem zu entscheidenden Fall wollte der Kläger morgens mit seinem Auto zur Arbeitsstelle fahren. Nachdem er das Wohnhaus verlassen hatte, legte er zunächst seine Arbeitstasche in das auf dem Grundstück parkende Auto. Danach verließ er das Grundstück zu Fuß und ging wenige Meter auf die öffentliche Straße, um dort die Fahrbahnverhältnisse zu prüfen. Auf dem Rückweg zu seinem Auto stürzte er an der Bordsteinkante und verletzte sich am rechten Arm. Hintergrund der Prüfung war eine Meldung des Deutschen Wetterdienstes, wonach in der Nacht mit überfrierender Nässe oder leichtem Schneefall zu rechnen sei.
  • Das BSG hat entschieden, dass der unmittelbare und damit versicherte Weg zur Arbeitsstätte bereits in dem Zeitpunkt unterbrochen war, in dem der Kläger die Straße betreten hatte. Bei der Prüfung der Fahrbahnverhältnisse handelt es deshalb nur um eine Vorbereitungshandlung zum versicherten Arbeitsweg. Vorbereitungshandlungen sind nach ständiger Rechtsprechung jedoch nur versichert, wenn entweder eine rechtliche Pflicht besteht, eine solche Handlung vorzunehmen, oder wenn die Handlung zur Beseitigung eines unvorhergesehenen Hindernisses erforderlich ist, um den Arbeitsweg aufzunehmen oder fortzusetzen. Keine der Alternativen war hier erfüllt. Auch wenn der Kläger die Prüfung als sinnvoll oder erforderlich angesehen habe, sei diese weder durch die Straßenverkehrsordnung geboten noch für den Antritt der Fahrt unverzichtbar gewesen.

 

Quelle: BSG-Pressemitteilung 3/2018 vom 23.01.2018

Berücksichtigung von Provisionszahlungen bei Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze – GKV-Spitzenverband nimmt Stellung

  • Der GKV-Spitzenverband hat am 22.03.2017 Hinweise zur Versicherungsfreiheit von Arbeitnehmern bei Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze (JAE) veröffentlicht. Strittig darin war die Festlegung des GKV-Spitzenverbands, dass Provisionszahlungen oder vergleichbare Entgeltleistungen bei der Überprüfung nicht berücksichtigt werden dürfen, soweit sie nicht garantiert sind. Auf Drängen der BDA hat der GKV-Spitzenverband seine Ansicht mit Schreiben vom 05.02.2018 korrigiert. Unter bestimmten Umständen können nun auch nach Ansicht des GKV-Spitzenverbandes derartige Zahlungen berücksichtigt werden.
  • In den grundsätzlichen Hinweisen zur Versicherungsfreiheit von Arbeitnehmern bei Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze vom 22.03.2017 hatte der GKV-Spitzenverband ausgeführt: „Variable Arbeitsentgeltbestandteile gehören – unabhängig davon, ob sie individuell-leistungsbezogen oder unternehmenserfolgsbezogen gezahlt werden – nicht zum regelmäßigen Arbeitsentgelt [...]“. In vielen Fällen sind vor allem solche Lohnarten betroffen, die im allgemeinen unter dem Begriff „Provisionen“ zusammengefasst werden können. Die Summe der jährlich gewährten Provisionen ist in der Regel variabel, mithin werden Provisionszahlungen als variable Entgeltbestandteile betrachtet. Auf Grundlage der Hinweise des GKV-Spitzenverbands wären allerdings Provisionen nicht dem regelmäßigen Arbeitsentgelt hinzuzurechnen. Tatsächlich sind nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Einmalzahlungen bei der Ermittlung des Jahresarbeitsentgelts zu berücksichtigen, wenn sie mit hinreichender Sicherheit mindestens einmal jährlich erwartet werden können (BSG 09.12.1981 – 12 RK 20/81). Dieser Umstand kann für Provisionszahlungen zutreffend sein.
  • Auf Drängen der BDA stellt der GKV-Spitzenverband mit Antwortschreiben an den Verband vom 05.02.2018 klar: "Variable Arbeitsentgeltbestandteile, die individuell-leistungsbezogen gewährt werden, sind allerdings in Ergänzung des skizzierten Grundsatzes dann dem regelmäßigen Arbeitsentgelt zuzurechnen, wenn sie üblicherweise Bestandteil des monatlich zufließenden laufenden Arbeitsentgelts sind und dieses insoweit mitprägen. So setzen sich in einigen Berufsgruppen, beispielsweise in Teilen des Einzelhandels oder in der Versicherungsbranche, die monatlich zufließenden Arbeitsentgelte typischerweise aus einem vertraglich fest vereinbarten monatlichen Fixum sowie einem erfolgsabhängigen und somit variablen Anteil zusammen. In diesen Fällen werden die monatlich zufließenden laufenden Arbeitsentgelte auch von einem variablen Anteil dergestalt charakterisiert, dass hinsichtlich dieser variablen Arbeitsentgeltbestandteile gleichermaßen von einem regelmäßigen Arbeitsentgelt ausgegangen werden kann; die Höhe der monatlich zufließenden variablen Arbeitsentgeltbestandteile bzw. dessen Relation zum ggf. vertraglich vereinbarten Fixum ist dabei grundsätzlich nicht von Bedeutung. Da es sich in aller Regel hierbei um schwankendes Arbeitsentgelt handeln dürfte, ist dieses für die Ermittlung des regelmäßigen Jahresarbeitsentgelts ggf. im Wege einer Prognose bzw. vorausschauenden Schätzung zu ermitteln."
  • Der BDA rät: Im Einzelfall können sich Arbeitgeber an die Einzugsstelle wenden, die gemäß § 28h Abs. 2 SGB IV rechtsverbindlich insbesondere über die Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung entscheidet, und auf das beigefügte Schreiben des GKV-Spitzenverbands verweisen.
  • Eine Anpassung der grundsätzlichen Hinweise ist in Planung.

 

Quelle: BDA vom 08.02.2018