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Vorabentscheidungsersuchen; Urlaubsanspruch; Mitwirkungsobliegenheiten; Verjährung

Dies sind die Orientierungssätze des Beschlusses des BAG vom 29.09.2020 – 9 AZR 266/20 (A) -:

 

1. Die Befristung des gesetzlichen Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG setzt grundsätzlich voraus, dass der Arbeitgeber seinen aus einem richtlinienkonformen Verständnis von § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG resultierenden Mitwirkungsobliegenheiten bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs genügt, indem er den Arbeitnehmer – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht beantragt (Rn. 19).

 

2. Hat der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt, tritt der Urlaubsanspruch, wenn der Urlaub bis zum 31. Dezember des Urlaubsjahres nicht gewährt wurde, zu dem Urlaubsanspruch hinzu, der am 1. Januar des Folgejahres entsteht. Für ihn gelten, wie für den neu entstandenen Urlaubsanspruch, die Regelungen der § 7 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 BUrlG (Rn. 19).

 

3. Der Arbeitgeber, der einen Arbeitnehmer nicht in die Lage versetzt hat, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auszuüben, hat – sofern nicht ausnahmsweise besondere Umstände zum Erlöschen des Urlaubsanspruchs führen (Rn. 22) – grundsätzlich die sich hieraus ergebenden Folgen zu tragen (Rn. 43). Die Möglichkeit, die kumulierten Urlaubsansprüche aus mehreren Jahren gegen den Willen des Arbeitgebers durchzusetzen, wäre deshalb nach nationalem Recht regelmäßig nur dann zeitlich begrenzt, wenn die allgemeinen Verjährungsbestimmungen der §§ 194 ff. BGB neben den Regelungen in § 7 BUrlG Geltung beanspruchen könnten (Rn. 36).

 

4. Gemäß § 194 BGB iVm. § 199 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BGB unterliegen Ansprüche einer regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren (Rn. 28 ff.). Die Verjährung berührt nach der Konzeption des Bürgerlichen Gesetzbuchs weder den anspruchsbegründenden Tatbestand noch das Bestehen des Rechts des Gläubigers, sondern gibt dem Schuldner eine Einrede, die er geltend machen muss. In diesem Fall wird für den Gläubiger nach Ablauf der Verjährungsfrist ein Hindernis geschaffen, den bestehenden Anspruch erfolgreich durchzusetzen (§ 214 Abs. 1 BGB) (Rn. 33).

 

5. Die Beantwortung der Frage, ob der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub, der aufgrund unterlassener Mitwirkung des Arbeitgebers nicht bereits nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen konnte, gemäß § 194 Abs. 1, § 195 BGB der Verjährung unterliegt, oder ob in diesem Fall ein aus dem Bundesurlaubsgesetz folgender Gesetzesbefehl der Verjährbarkeit des Urlaubsanspruchs entgegensteht, hängt von der Auslegung des Unionsrechts ab (Rn. 38 ff.). Gleiches gilt für die Frage, ob der wegen unterlassener Aufforderung und Hinweise des Arbeitgebers nicht verfallene Urlaub aus dem fraglichen Urlaubsjahr im Hinblick auf den Beginn der möglicherweise geltenden Verjährungsfristen (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) so zu behandeln ist, als sei er wie der Urlaub aus dem folgenden oder einem späteren Urlaubsjahr entstanden, zu dem er bei unionsrechtskonformer Auslegung von § 7 Abs. 3 BUrlG hinzutritt (Rn. 58). Der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat deshalb ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet.

 

6. Ob das Unionsrecht die Verjährung des Urlaubsanspruchs ausschließt, ist aus Sicht des Neunten Senats – auch unter Beachtung der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC – vor allem klärungsbedürftig, weil das nationale Verjährungsrecht nicht allein der Sicherung der Interessen von Schuldner und Gläubiger dient, sondern als Ausdruck des vom Gesetzgeber verfolgten Ziels, Rechtsfrieden und Rechtssicherheit herzustellen maßgeblich öffentlichen Interessen Rechnung trägt (Rn. 48).

 

7. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Ausschluss- und Verjährungsfristen außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 31 Abs. 2 GRC und Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass die Verjährung des Urlaubsanspruchs bei unterlassener Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten entsprechend dem Grundsatz der Verfahrensautonomie nicht ausgeschlossen ist, sofern die Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität gewahrt sind (Rn. 49 ff.). Der Gerichtshof hat jedoch in anderem Zusammenhang entschieden, dass die Anwendung einer Verjährungsfrist geeignet sein kann, die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte übermäßig zu erschweren, und folglich gegen den Effektivitätsgrundsatz in Verbindung mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit zu verstoßen, wenn sie zu einem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem der Anspruchssteller den Umfang seiner Rechte aus dem Unionsrecht nicht kennen oder nicht richtig erfassen konnte, weil er nicht über die erforderlichen Informationen verfügte (Rn. 56). Für den Senat bestehen deshalb Zweifel an der Auslegung des Unionsrechts.