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Verhaltensbedingte Kündigung; Klageeinreichung mit elektronischem Dokument; Container-Signatur; nachträgliche Klagezulassung; faires Verfahren

Anschließend die Orientierungssätze des Urteils des BAG vom 30.07.2020 – 2 AZR 43/20 -:

 

1. Seit dem 1. Januar 2018 dürfen gemäß § 4 Abs. 2 ERVV mehrere elektronische Dokumente nicht mit einer gemeinsamen qualifizierten elektronischen Signatur (qeS) übermittelt werden. Die qeS darf aus diesem Grund nicht nur am Nachrichtencontainer angebracht sein. Dies gilt auch dann, wenn dem Gericht lediglich ein einziges Dokument übermittelt wird. Der Formmangel kann nicht gemäß § 46c Abs. 6 Satz 2 ArbGG rückwirkend geheilt werden (Rn. 12, 15).

 

2. Ein Hindernis iSv. § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist behoben, wenn die Partei oder ihr Bevollmächtigter Kenntnis von der Fristversäumung hatte oder bei ordnungsgemäßer Verfolgung der Rechtssache hätte haben können. Maßgeblich ist die Kenntnis der Säumnis, nicht die Kenntnis von deren Ursache. Das Weiterbestehen des Hindernisses darf nicht mehr als unverschuldet angesehen werden können. Dies ist der Fall, wenn tatsächliche Umstände nach Eintritt der Fristversäumung eine entsprechende positive Kenntnis vermittelt oder zumindest Anlass zu Zweifeln gegeben haben, ob die Frist eingehalten war (Rn. 24).

 

3. Die Sechs-Monats-Frist des § 5 Abs. 3 Satz 2 KSchG findet wegen des Anspruchs des Klägers auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG keine Anwendung, wenn nach Zustellung einer zunächst unerkannt die formalen Anforderungen nicht erfüllenden Klageschrift der darauf bezogene gerichtliche Hinweis erst nach Ablauf der Sechs-Monats-Frist erfolgt ist (Rn. 28, 30).

 

4. Ein etwaiges Verschulden der Partei bzw. ihres Prozessbevollmächtigten hindert nicht die nachträgliche Zulassung der Klage gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG, wenn dieses hinter gerichtliches Verschulden zurücktritt, weil ohne letzteres die Frist gewahrt worden wäre. Dies ist der Fall, wenn ein gebotener gerichtlicher Hinweis auf einen offenkundigen Formmangel der Klageschrift unterblieben ist, obwohl er bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang so rechtzeitig hätte erfolgen können, dass der Partei die Fristwahrung noch möglich gewesen wäre (Rn. 37, 39).

 

5. Bei der Frage, was die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des Vertragspartners gemäß § 241 Abs. 2 BGB im Einzelfall gebietet, ist insbesondere auf die von den Grundrechten zum Ausdruck gebrachte Werteordnung Rücksicht zu nehmen. Die Gerichte haben dabei den jeweils konkurrierenden Rechtspositionen ausgewogen Rechnung zu tragen (Rn. 46).

 

6. Auch auf den Erhalt des „Betriebsfriedens“ gerichtete Verhaltenspflichten iSv. § 241 Abs. 2 BGB bedürfen einer Konkretisierung unter Berücksichtigung der wechselseitigen Interessen und grundrechtlichen Gewährleistungen. Allein der Umstand, dass eine Störung eingetreten ist, genügt nicht für die Annahme, ein Arbeitnehmer, der dazu beigetragen hat, habe auch seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers verletzt (Rn. 47).