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Unmittelbare und mittelbare Benachteiligung iSd. AGG; Belästigung iSd. AGG; Maßregelung iSd. AGG; „Mobbing“; Ersatz immaterieller und materieller Schäden; Ausschlussfristen

Orientierungssätze des Urteils des BAG vom 18.05.2017 – 8 AZR 74/16 -:

  1. Die Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG ist – auch in ihrer Kombination mit der für den Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG maßgeblichen Klagefrist des § 61b ArbGG – mit den unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar. Sie wahrt sowohl den unionsrechtlichen Grundsatz der Äquivalenz als auch den der Effektivität. § 15 Abs. 4 AGG verstößt auch nicht gegen das in Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG bestimmte Verbot der Absendung des von den Mitgliedstaaten bereits garantierten allgemeinen Schutzniveaus.
  2. § 15 Abs. 4 AGG verstößt bereits deshalb nicht gegen den Grundsatz der Äquivalenz, weil es im deutschen Arbeitsrecht kein Klageverfahren gibt, das im Hinblick auf seinen Verfahrensgegenstand, seinen Rechtsgrund und seine wesentlichen Gesichtspunkte einer Schadensersatz- bzw. Entschädigungsklage nach § 15 Abs. 1 bzw. § 15 Abs. 2 AGG entspricht. Die hier allein in Betracht kommenden Klagen, die Ansprüche auf Schadensersatz und/oder Entschädigung nach den allgemeinen zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen – insbesondere nach § 280 Abs. 1 ggf. iVm. § 253 BGB; § 823 Abs. 1 BGB ggf. iVm. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG – zum Gegenstand haben, sind nicht mit den auf § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG gestützten Klageverfahren vergleichbar. Eine Vergleichbarkeit scheidet schon wegen grundlegender Unterschiede in der Beweislastverteilung aus. Darüber hinaus bestehen wesentliche Unterschiede in der Ausgestaltung der Anspruchsvoraussetzungen. Dies gilt insbesondere für das Verschuldenserfordernis.
  3. § 15 Abs. 4 AGG wahrt auch den Grundsatz der Effektivität. Dies gilt sowohl für den in § 15 Abs. 4 AGG bestimmten Fristbeginn als auch für die dort geregelte Frist von zwei Monaten.
  4. § 15 Abs. 4 AGG bewirkt im Hinblick auf die in Art. 1 der Richtlinie 2000/78/EG genannten Gründe „Religion“, „Weltanschauung“, „Behinderung“, „Alter“ und „sexuelle Ausrichtung“ – und damit auch im Hinblick auf die vorliegend relevanten Gründe iSv. § 1 AGG „Behinderung“ und „Alter“ – keine Absenkung des in Deutschland bereits garantierten allgemeinen Schutzniveaus in Bezug auf Diskriminierungen in den von der Richtlinie abgedeckten Bereichen.
  5. Nach § 252 BGB gehört zu dem nach § 15 Abs. 1 AGG zu ersetzenden Vermögensschaden auch entgangenes Arbeitsentgelt. Verlangt die klagende Partei nach § 15 Abs. 1 AGG Ersatz eines Vermögensschadens in Form entgangenen Arbeitsentgelts, trägt sie nach den allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast für die haftungsausfüllende Kausalität und muss demnach darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass die (behauptete) Benachteiligung für den Schaden ursächlich war, der Schaden also bei benachteiligungsfreier Behandlung nicht eingetreten wäre. Die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der haftungsausfüllenden Kausalität wird durch § 22 AGG nicht abgeändert.
  6. Ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 16 AGG hat weder einen Anspruch auf Schadensersatz nach § 15 Abs. 1 AGG noch einen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zur Folge. Allerdings darf ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 16 AGG schon vor dem Hintergrund, dass mit dieser Bestimmung das Verbot der Viktimisierung der unionsrechtlichen Vorgaben umgesetzt wird (ua. Art. 11 der Richtlinie 2000/78/EG), nicht folgenlos bleiben. Dem entspricht das innerstaatliche Recht in Deutschland, denn unbenommen bleiben nicht nur etwaige Ansprüche auf Beseitigung der Beeinträchtigung und ggf. auf Unterlassung, sondern darüber hinaus insbesondere Schadensersatzansprüche aus § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB und aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 16 AGG.
  7. § 15 Abs. 4 AGG enthält eine Sonderregelung jedenfalls für die Fälle, in denen § 22 AGG unmittelbar Anwendung findet. Deshalb kann § 15 Abs. 4 AGG nicht über seinen Wortlaut hinaus – auch nicht analog – auf Schadensersatzverlangen angewendet werden, in denen – wie bei Schadensersatzbegehren wegen „Mobbings“ – die Beweisregel des § 22 AGG nicht eingreift.
  8. Für den Beginn der Frist des § 15 Abs. 4 AGG kommt es in den Fällen, in denen das Schadensersatz- und/oder Entschädigungsverlangen auf eine verbotene Benachteiligung nach dem AGG in Form der Belästigung iSv. § 3 Abs. 3 AGG gestützt wird, wegen des typischerweise prozesshaften Charakters der Belästigung auf den Abschluss des letzten von der klagenden Partei geschilderten Vorfalls an. Dieser Zeitpunkt entspricht dem Zeitpunkt, zu dem regelmäßig Ausschlussfristen für einen auf „Mobbing“ gestützten Schadensersatz- bzw. Entschädigungsanspruch zu laufen beginnen.