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Entgeltgleichheitsklage; Benachteiligung wegen des Geschlechts; gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit; Bedeutung der Auskunft nach dem EntgTranspG; Mitteilung der maßgeblichen Vergleichsperson(en); konkreter oder hypothetischer Beschäftig

Es folgen die Orientierungssätze des Urteils des BAG vom 21.01.2021 – 8 AZR 488/19 -:

1. Eine Klage auf gleiches Entgelt für gleiche sowie gleichwertige Arbeit ohne Diskriminierung wegen des Geschlechts kann sowohl auf den direkt anwendbaren Art. 157 AEUV als auch auf § 3 Abs. 1 und/oder § 7 EntgTranspG gestützt werden. Diese Bestimmungen dienen nebeneinander der Verwirklichung des Anspruchs auf Entgeltgleichheit (Rn. 17).

2. § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG, die auf die Umsetzung der Bestimmungen der Richtlinie 2006/54/EG zum Verbot der Diskriminierung beim Entgelt und zur entgeltbezogenen Gleichbehandlung männlicher und weiblicher Arbeitnehmer bei gleicher oder als gleichwertig anerkannter Arbeit in das nationale Recht in Deutschland gerichtet sind, sind unionsrechtskonform, dh. entsprechend den Vorgaben der Richtlinie 2006/54/EG und im Einklang mit Art. 157 AEUV unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszulegen (Rn. 19).

3. Der Ausdruck „Entgelt“ umfasst sämtliche Entgeltbestandteile. Darunter fallen die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und -gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer mittelbar oder unmittelbar als Geld- oder Sachleistung zahlt (§ 5 Abs. 1 EntgTranspG, Art. 2 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2006/54/EG). Bei einer Klage auf gleiches Entgelt für gleiche sowie gleichwertige Arbeit ohne Diskriminierung wegen des Geschlechts ist jeder einzelne Entgeltbestandteil für sich zu betrachten und keine Gesamtbewertung des gezahlten Entgelts vorzunehmen. Nur so ist eine echte Transparenz, die für eine wirksame Kontrolle unerlässlich ist, gewährleistet (Rn. 20, 23).

4. Bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit ist sowohl eine unmittelbare als auch eine mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts im Hinblick auf sämtliche Entgeltbestandteile und Entgeltbedingungen verboten (§ 3 Abs. 1 EntgTranspG, Art. 4 Satz 1 der Richtlinie 2006/54/EG). Eine unmittelbare Entgeltbenachteiligung liegt vor, wenn eine Beschäftigte oder ein Beschäftigter wegen des Geschlechts bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit ein geringeres Entgelt erhält, als eine Beschäftigte oder ein Beschäftigter des jeweils anderen Geschlechts erhält, erhalten hat oder erhalten würde (§ 3 Abs. 2 EntgTranspG, Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und Art. 4 der Richtlinie 2006/54/EG). Eine mittelbare Entgeltbenachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Beschäftigte wegen des Geschlechts gegenüber Beschäftigten des jeweils anderen Geschlechts in Bezug auf das Entgelt in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich (§ 3 Abs. 3 EntgTranspG, Art. 2 Abs. 1 Buchst. b und Art. 4 der Richtlinie 2006/54/EG) (Rn. 21 f.).

5. Nach § 4 Abs. 1 EntgTranspG üben weibliche und männliche Beschäftige eine gleiche Arbeit aus, wenn sie an verschiedenen Arbeitsplätzen oder nacheinander an demselben Arbeitsplatz eine identische oder gleichartige Tätigkeit ausführen. Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG üben weibliche und männliche Beschäftigte eine gleichwertige Arbeit iSd. EntgTranspG aus, wenn sie unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren als in einer vergleichbaren Situation befindlich angesehen werden können. Nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EntgTranspG gehören zu den zu berücksichtigenden Faktoren unter anderem die Art der Arbeit, die Ausbildungsanforderungen und die Arbeitsbedingungen und nach § 4 Abs. 2 Satz 3 EntgTranspG ist von den tatsächlichem, für die jeweilige Tätigkeit wesentlichen Anforderungen auszugehen, die von den ausübenden Beschäftigten und deren Leistungen unabhängig sind. Der Begriff der gleichwertigen Arbeit ermöglicht es, sehr unterschiedliche Tätigkeiten mittels diskriminierungsfreier Arbeitsbewertung darauf zu überprüfen, ob sie von gleichem Arbeitswert sind. Damit kann strukturelle und mittelbar diskriminierende Entgeltungleichheit festgestellt werden (Rn. 22, 37).

6. Für die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast ist im Rechtsstreit um gleiches Entgelt für gleiche sowie gleichwertige Arbeit unabhängig vom Geschlecht § 22 AGG maßgebend. Nach dieser Bestimmung, die unionsrechtskonform im Einklang mit Art. 19 Abs. 4 der Richtlinie 2006/54/EG auszulegen ist, ist für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick auf den Kausalzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vorgesehen. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Danach muss im Rechtsstreit um gleiches Entgelt für gleiche sowie gleichwertige Arbeit der/die Beschäftigte, der/die sich diskriminiert glaubt und deshalb gegen seinen/ihren Arbeitgeber Klage auf Beseitigung dieser Diskriminierung erhebt, mit allen rechtlich vorgesehenen Mitteln darlegen und im Bestreitensfall beweisen, dass ein/ihr Arbeitgeber ihm/ihr ein niedrigeres Entgelt zahlt als seinen /ihren zum Vergleich herangezogenen Kolleg/inn/en des anderen Geschlechts und dass er/sie die gleiche oder eine gleichwertige, mit deren Arbeit vergleichbare Arbeit verrichtet, so dass er /sie dem ersten Anschein nach Opfer einer nur mit dem unterschiedlichen Geschlecht erklärbaren Diskriminierung ist. Ist dies gelungen, kehrt sich die Beweislast um (Rn. 24 ff., 28, 45, 51).

7. Besteht die Vermutung einer Benachteiligung, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist. Hierfür gilt das Beweismaß des sog. Vollbeweises. Der Arbeitgeber muss Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass kein Verstoß gegen das Entgeltgleichheitsgebot vorliegt, sondern ausschließlich andere Gründe als das Geschlecht zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben (Rn. 31).

8. Im Einzelfall kann für die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Rechtsstreit um gleiches Entgelt die spezielle Bestimmung des § 15 Abs. 5 EntgTranspG zur Anwendung kommen, die eine gegenüber der Beweislastregel des § 22 AGG modifizierte Beweislastregel enthält. Danach trägt der Arbeitgeber, der die Erfüllung seiner Auskunftspflicht verletzt, im Streitfall die Beweislast – worunter unionsrechtskonform die Darlegungs- und Beweislast zu verstehen ist – dafür, dass kein Verstoß gegen das Entgeltgleichheitsgebot iSd. EntgTranspG vorliegt (Rn. 26, 53, 55).

9. Bei der Auslegung von § 22 AGG sowie der Bestimmungen über das Verbot der Diskriminierung beim Entgelt ist das Gebot der „praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts“ zu beachten, wonach der Rechtsanspruch auf gleiches Entgelt für gleiche sowie gleichwertige Arbeit ohne Diskriminierung wegen des Geschlechts vor den nationalen Gerichten durchsetzbar sein muss. Dafür kann die Darlegungs- und Beweislast unter besonderen Umständen, wenn nämlich sonst kein wirksames Mittel vorhanden ist, um die Einhaltung des Grundsatzes des gleichen Entgelts durchzusetzen, ggf. modifiziert sein, wofür die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union verschiedene Beispiele aufzeigt (Rn. 30).

10. Der individuelle Auskunftsanspruch nach § 10 EntgTranspG und die zu erteilende Auskunft nach §§ 11 ff. EntgTranspG sind nach dem Zweck des EntgTranspG auf die Durchsetzung des Entgeltgleichheitsanspruchs von Männern und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit ausgerichtet. Die Beschäftigten sollen durch die erlangten Informationen in die Lage versetzt werden, bei einer Entgeltgleichheitsklage ihrer Darlegungs- und Beweislast nachkommen zu können (Rn. 43 f.).

11. In der arbeitgeberseitigen Angabe des Vergleichsentgelt als Median-Entgelt nach § 11 Abs. 3 EntgTranspG liegt zugleich die Mitteilung der maßgeblichen Vergleichsperson(en) iSd. § 3 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG, weil entweder ein konkreter oder ein hypothetischer bzw. fiktiver Beschäftigter des anderen Geschlechts das jeweilige Entgelt bzw. den jeweiligen Entgeltbestandteil für gleiche oder gleichwertige Tätigkeit erhält. Im Rechtsstreit einer Frau um gleiches Entgelt begründet der Umstand, dass ihr Entgelt geringer ist als das vom Arbeitgeber nach §§ 10 ff. EntgTranspG mitgeteilte Vergleichsentgelt (Median-Entgelt) der männlichen Vergleichsperson(en) regelmäßig die – vom Arbeitgeber widerlegbare – Vermutung, dass die klagende Arbeitnehmerin die Entgeltbenachteiligung „wegen des Geschlechts“ erfahren hat (Rn. 16, 33 ff., 39 ff.).

12. Ob eine Auskunft nach §§ 11 ff. EntgTranspG eine Entgeltdiskriminierung zuverlässig anzeigen kann, ist für den Eintritt der Vermutungswirkung nach § 22 AGG unbeachtlich. Vielmehr ist es Sache des Arbeitgebers im Rahmen seiner Darlegungs- und Beweislast, sich mit der Aussagekraft der von ihm erteilten Auskunft für eine Entgeltdiskriminierung wegen des Geschlechts auseinanderzusetzen. Ihm obliegt es nach § 22 AGG, darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist (Rn. 58).

13. Um die Vermutung zu widerlegen, dass der/die klagende Beschäftigte die Entgeltbenachteiligung „wegen des Geschlechts“ erfahren hat, hat der Arbeitgeber vorzutragen und ggf. zu beweisen, dass die festgestellte unterschiedliche Vergütung durch objektive Faktoren, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, zu erklären ist und dass die Ungleichbehandlung auch tatsächlich ausschließlich auf anderen Gründen als dem unterschiedlichen Geschlecht der Arbeitnehmer, also auf einem geschlechtsunabhängigen Unterschied beruht. Die vorgebrachte Erklärung muss auf einem legitimen Ziel beruhen. Die zu dessen Erreichung gewählten Mittel müssen hierzu geeignet und erforderlich sein. Auf Kriterien und Faktoren, die im Ergebnis Frauen stärker nachteilig betreffen als Männer, kann eine Entgeltdifferenzierung nur gestützt werden, wenn sie der Art der Arbeit geschuldet sind und zu den (legitimen) Bedürfnissen und Zielen des Unternehmens in Beziehung stehen. Bloße allgemeine Behauptungen des Arbeitgebers genügen nicht (Rn. 62 f.).

14. Soweit ein Entgeltsystem zur Anwendung kommt, müssen nach § 4 Abs. 4 EntgTranspG und Art. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/54/EG dieses Entgeltsystem als Ganzes und auch die einzelnen Entgeltbestandteile so ausgestaltet sein, dass eine Benachteiligung wegen des Geschlechts ausgeschlossen ist (Rn. 66).

15. Die Kriterien der Entgeltdifferenzierung müssen konsequent geschlechtsneutral aufgestellt, ausgelegt und in der betrieblichen Praxis angewendet werden (Rn. 54).

16. Für unmittelbare Entgeltdiskriminierungen wegen des Geschlechts gibt es keine Möglichkeit der Rechtfertigung (Rn. 54).

17. Eine Entgeltgleichheitsklage ist auf die Nachzahlung gleichheitswidrig vorenthaltener Vergütung gerichtet. Wird eine unionsrechtswidrige Diskriminierung festgestellt und sind bislang keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung getroffen worden, können die Gerichte die Wahrung des Grundsatzes der Gleichbehandlung nur dadurch gewährleisten, dass den Angehörigen der benachteiligten Gruppe dieselben Vorteile gewährt werden wie die, die den Angehörigen der privilegierten Gruppe zugutekommen, wobei diese Regelung, solange das Unionsrecht nicht richtig durchgeführt ist, das einzig gültige Bezugssystem bleibt (Rn. 75).