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Benachteiligung wegen der Religion; berufliche Anforderung einer Kirchenmitgliedschaft; Stellenausschreibung; Rechtfertigung; wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung; unionsrechtskonforme Auslegung; Anwendungsvorrang des Unions

Orientierungssätze des Urteils des BAG vom 25.10.2018 – 8 AZR 501/14 -:

1. Nach § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG ist – ungeachtet des § 8 AGG – eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften, die ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder durch Vereinigungen, die sich die gemeinschaftlicher Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, zulässig, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.

2. § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG ist dahin auszulegen, dass es dann, wenn eine Religionsgemeinschaft, kirchliche Einrichtung oder Vereinigung ihr Selbstbestimmungsrecht ausgeübt und die Zugehörigkeit zu einer Kirche als berufliche Anforderung bestimmt hat, für die Rechtfertigung einer Benachteiligung wegen der Religion weder auf die Art der Tätigkeit noch die Umstände ihrer Ausübung ankommt. In dieser Auslegung ist die Bestimmung mit den unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 200/78/EG unvereinbar. § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG kann nicht unionsrechtskonform ausgelegt werden und muss unangewendet bleiben (Rn. 24 ff.).

3. Vom Begriff „Religion“ iSv. § 1 AGG und der Richtlinie 2000/78/EG wird auch der Glaube an keine Religion als Ausübung der negativen Religionsfreiheit umfasst. Bestimmt der Arbeitgeber in einer Stellenausschreibung die Mitgliedschaft des Bewerbers/der Bewerberin in einer bestimmten Kirche als berufliche Voraussetzung, schließt er nicht nur Mitglieder anderer Religionsgemeinschaften aus dem Kreis der erwünschten und damit möglicherweise erfolgreichen Bewerber/innen aus und benachteiligt diese wegen ihrer Religion, sondern benachteiligt auch Konfessionslose wegen der Religion (Rn. 56 ff.).

4. § 9 Abs. 1 Alt. 2 AGG ist unionsrechtskonform dahin auszulegen, dass eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften, die ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder durch Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, zulässig ist, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung nach der Art der Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt (Rn. 62).

a) Damit hängt es von der Art der fraglichen Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung ab, ob die Religion oder Weltanschauung eine solche berufliche Anforderung darstellt. Es muss – objektiv überprüfbar – ein direkter Zusammenhang zwischen der vom Arbeitgeber aufgestellten beruflichen und der fraglichen Tätigkeit bestehen. Dabei kann sich ein solcher Zusammenhang sowohl aus der Art der Tätigkeiten wie aus den Umständen ihrer Ausübung ergeben (Rn. 65).

b) Um das Merkmal „wesentlich“ zu erfüllen, muss die Zugehörigkeit zu der Religion bzw. das Bekenntnis zu der Weltanschauung, auf der das Ethos der betreffenden Kirche oder Organisation beruht, aufgrund der Bedeutung der betreffenden beruflichen Tätigkeit für die Bekundung dieses Ethos oder die Ausübung des Rechts dieser Kirche oder Organisation auf Autonomie notwendig erscheinen (Rn. 67).

c) „Rechtmäßig“ ist die Zugehörigkeit zu der Religion bzw. das Bekenntnis zu der Weltanschauung, auf der das Ethos der in Rede stehenden Kirche oder Organisation beruht, betreffende Anforderung nur dann, wenn sie nicht zur Verfolgung eines sachfremden Ziels ohne Bezug zu diesem Ethos oder zur Ausübung des Rechts dieser Kirche oder Organisation auf Autonomie dient (Rn. 68).

d) Der Ausdruck „gerechtfertigt“ impliziert nicht nur, dass die Einhaltung der genannten Kriterien durch ein innerstaatliches Gericht überprüfbar sein muss, sondern auch, dass es der Kirche oder Organisation, die diese Anforderung aufgestellt hat, obliegt, im Licht der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls darzutun, dass die geltend gemachte Gefahr einer Beeinträchtigung ihres Ethos oder ihres Rechts auf Autonomie wahrscheinlich und erheblich ist, so dass sich eine solche Anforderung tatsächlich als notwendig erweist (Rn. 69).

e) Letztlich muss die berufliche Anforderung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang stehen. Insoweit müssen die nationalen Gerichte prüfen, ob die fragliche Anforderung angemessen ist und nicht über das zur Erreichung des angestrebten Ziels Erforderliche hinausgeht (Rn. 70).

5. Bei der Beurteilung der angemessenen Höhe der festzusetzenden Entschädigung nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Die Entschädigung muss einen tatsächlichen und wirksamen rechtlichen Schutz gewährleisten. Die Härte der Sanktionen muss der Schwere des Verstoßes entsprechen, indem sie insbesondere eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber gewährleistet, zugleich aber den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt. Eine rein symbolische Entschädigung ist nicht ausreichend (Rn. 111).

Weiterführender Hinweis:

Der Senat hat im vorliegenden Verfahren weder Anlass für eine Ultra-vires- noch für eine Identitätskontrolle durch das Bundesverfassungsgericht gesehen. Er hat keine Zweifel, dass die Richtlinie 2000/78/EG in ihrer Auslegung durch die Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 17. April 2018 (-C-414/16 – [Egenberger]) sowie vom 11. September 2018 (-C-68/17 – [IR] einer solchen Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht standhalten würde.

 

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